Königin der Schwerter
geglaubt hatte, zu Staub. Ihr Leben, ihre Träume, ihre Ziele … nichts schien mehr Bestand zu haben in einer Wirklichkeit, die ihre schlimmsten Albträume längst überholt hatte.
»Du bist damit nicht einverstanden?« Etwas in Z a rifes Stimme warnte Aideen, ihre Worte jetzt gut zu wählen.
»Ich … meinte nur, was sagen wir jetzt denen da draußen?«, gab sie hastig eine Erklärung. »Sie … sie glauben doch, dass Ihr in den Körper zurückkehren werdet. Dafür haben sie gelebt, daran haben sie g e glaubt. Wie sollen wir ihnen erklären, dass der Kö r per nun nicht …«
»Ganz einfach«, fiel Mel Aideen ins Wort. »Wir g e ben dir die Schuld.« Sie grinste spöttisch. »Nac h dem du schon bei der Anrufung versagt hast, wird es ni e mand wundern, dass es dir nicht gelingt, Körper und Geist der Hohepriesterin zusammenzubringen. Aber keine Sorge, wenn wir es ihnen schonend be i bringen, werden sie dich nicht dafür verachten, so n dern froh sein, dass Zarife dank deiner Umsicht noch am Leben ist.«
»Das ist hervorragend.« Zarife nickte Mel wohlwo l lend zu. »Und den Tod der Oberin übernimmst du.«
»Ich?« Mel erbleichte. »Aber ich …«
Zarife schnalzte leise mit der Zunge und schütte l te tadelnd den Kopf. »Du wirst dich doch nicht d a vor drücken wollen, deiner Hohepriesterin das Leben g e rettet zu haben?« Sie schaute erst Mel und dann A i deen an. In ihren Augen erkannte Aideen den gleichen Ausdruck, den sie schon nach Bethias Tod gesehen hatte. Es war unmöglich, sich der Wi r kung des Blicks und der Worte zu entziehen, die Zarife nun sprach. »Diese falsche Schlange hat allen nur etwas vorg e macht«, sagte Zarife erbost und stieß den leblosen Körper der Oberin verächtlich mit dem Fuß an. »Ihr war nie daran gelegen, dass ich zurüc k kehre. Sie dachte immer nur an sich. Mithilfe des Dolches wollte sie sich meine Macht aneignen, i n dem sie mich hinterrücks zu erstechen versuchte. Es war mein Glück, dass Mel so achtsam war und den Angriff vereitelte, ehe die Ob e rin ihren teuflischen Plan ausführen konnte.«
Aideen konnte nicht anders, als Mel für ihren Mut zu bewundern. Sie hatte das Bild genau vor Augen, wie die Oberin mit dem Messer in der Hand hinter Zarife stand, und spürte das lähmende Entsetzen, das sie bei dem Anblick ergriffen hatte. Wäre Mel nicht gewesen …
»Für diese mutige Tat, mit der du mir deine bedi n gungslose Treue bewiesen hast«, hörte Aideen Zarife in ihre Gedanken hinein sagen, »ernenne ich dich zu meiner obersten Priesterin und Beraterin. Fortan wirst du mir nicht von der Seite weichen und mir in allen wichtigen Dingen beistehen.«
»Das … das ist …« Mel fehlten die Worte. Dem ü tig sank sie auf die Knie und ergriff Zarifes Hand. »Danke«, hauchte sie überwältigt von der Ehre, die ihr zuteil wurde. »Ich danke Euch.«
»Schon gut, schon gut.« Zarife löste sich aus dem Griff und deutete auf die Kleider auf dem Stuhl in der Ecke. »Jetzt steh auf und hilf mir, mich anz u kleiden. Danach werden wir gemeinsam zu den a n deren gehen und ihnen erzählen, was geschehen ist. Sie sollen die Tote hier wegschaffen und den Raum von dem eke l haften Staub befreien. Morgen wü n sche ich hier alles sauber vorzufinden. Und du«, wandte sie sich an A i deen, »achte darauf, dass alle hier schön brav bleiben. Halte deine Augen und Ohren offen und gib mir u n verzüglich Bescheid, wenn jemand das Wort gegen mich erhebt. Es steht zu befürchten, dass die Oberin Verbündete hatte. Diese gilt es zu finden und zu ve r nichten, ehe sie Schaden anrichten können.«
***
Hákons Pferd wurde immer langsamer. War es z u nächst noch getrabt, fiel es bald in einen schleppe n den Schritt und blieb dann einfach stehen.
Hákon wusste, dass es keinen Sinn hatte, es we i ter anzutreiben. Wenn er dem Pferd keine Rast gönnte, würde es irgendwann vor Erschöpfung zusammenbr e chen. Dann würde er den Waldrand niemals rechtze i tig erreichen.
Er saß ab und half der Fremden aus dem Sattel. Sie stöhnte leise, klagte aber nicht. Die Arme frö s telnd um den Körper geschlungen, setzte sie sich ins Gras und starrte geradeaus. Hákon löste seine D e cken aus dem Gepäck und legte sie der Frau um die Schultern. Er wünschte, er hätte einen Mantel, der sie wärmen konnte, aber er besaß nur das, was er selbst am Leib trug. Die beiden Decken waren alles, was er ihr geben konnte.
»Danke.« Sie sah ihn an, und zum ersten Mal glaubte er ein schwaches Lächeln
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