Königin der Schwerter
von vielen«, hatte sie einmal behauptet. »Was du in diesem Leben Gutes tust, so heißt es, wird dir in deinem nächsten Leben hundertfach vergolten. Dazu musst du deine dunkle Seite immer wieder aufs Neue überwinden. Nur dann wirst du die nächste Stufe und schließlich die Unsterblichkeit erlangen.«
Damals hatte Sandra gelacht und es als Spinnerei abgetan. Nun aber kam ihr die Vorstellung gar nicht mehr so verrückt vor.
Seltsamerweise verspürte sie keine Trauer, als sie daran dachte, dass ihr Leben, so wie sie es in Erinn e rung hatte, möglicherweise schon Vergangenheit war. Und es waren gerade Ivanas Worte, über die sie einst gelacht hatte, die sie nun trösteten. So wie es aussah, konnte Ivana sogar recht haben. Dann war alles, was sie gerade erlebte, nichts weiter als eine Auseinande r setzung mit ihrer Schattenseite. Wä h rend ihr dunkles Selbst die Herrschaft über ihren Körper übernommen hatte und in einer Albtrau m welt schier übermächtig auftrat, sollte sie einer Art Prüfung unterzogen werden. Wenn es ihr gelang, die dunkle Seite zu überwinden, würde sie entweder aus dem Koma erwachen oder sterben und zu einem neuen Leben Weiterreisen.
Der Gedanke war so absurd wie alles, was Sandra in den letzten Stunden erlebt hatte, aber er fügte sich perfekt in das Bild und die Ereignisse ein.
Vermutlich habe ich es unbewusst schon richtig gemacht, indem ich Manon vor Zarifes Angriff g e warnt habe, dachte Sandra. Da ist es mir gelungen, mich über meine dunkle Seite zu erheben und Gutes zu tun. Die geplante Opferung zweier Unschuldiger ist sicher eine weitere Herausforderung für das Gute in mir …
Je länger Sandra darüber nachdachte, desto stimm i ger wurde alles. Und statt zu verzagen, fühlte sie sich befreit. Sie glaubte nun zu wissen, was gesch e hen war, und auch, was sie zu tun hatte. Wenn sie überhaupt eine Chance haben wollte, dieser verrüc k ten Situation zu entfliehen, musste sie sich wehren. Irgendwie mus s te es ihr gelingen, ihr dunkles Selbst, das sich Zarife nannte, zu bezwingen. Immer und immer wieder, in zähem, kräftezehrendem Ringen, bis sie von höheren Mächten aus ihrer verzweifelten Lage erlöst wurde.
Für Furcht und Unsicherheit gab es keinen Raum mehr, denn diese waren die Quellen, aus denen ihre dunkle Seite Kraft bezog. Sie war entschlossen, den seltsam schwebenden Zustand, in dem sie sich b e fand, schnellstmöglich zu beenden, indem sie die finstere Seite ihres Selbst energisch bekämpfte.
Tod oder Leben, was immer der Lohn für ihre A n strengungen sein mochte, alles war besser, als das G e fangensein im eigenen Körper noch länger zu ertragen. So entschloss sie sich, ruhig zu bleiben und abzuwa r ten. Sie hatte Zarife schon einmal bezwu n gen und war überzeugt, es wieder schaffen zu kö n nen – wenn der rechte Augenblick dafür gekommen war.
***
Mit klopfendem Herzen hastete Aideen durch die menschenleeren Gänge. Hin und wieder hielt sie kurz an und lauschte, ob hinter ihr schon Schritte zu hören waren. Aber noch schien es, als folge ihr ni e mand.
Es grenzte an ein Wunder, dass sie es geschafft ha t te, unbemerkt von dem Felsenrund fort und wi e der in die Höhlen zu kommen. Sie wusste jedoch nicht, wie viel Zeit ihr noch blieb.
Am Ende des Ganges tauchte der Eingang zu der Höhle auf, in der Peme und Tisea schliefen. Aideen rannte darauf zu, trat aber erst ein, als sie sicher war, dass sie nicht verfolgt wurde. Die beiden Frauen schliefen tief und fest im Schein eines kleinen Tal g lichts.
»Aufwachen, schnell!« Aideen rüttelte zuerst T i sea und dann Peme so heftig, dass beide verwirrt die A u gen aufschlugen.
»Was ist los?«, murmelte Tisea.
Aideen war schon bei den Stühlen und warf den Frauen ihre Gewänder zu. »Ihr müsst hier verschwi n den. Sofort«, sagte sie. »Ihr seid in großer Gefahr.« Sie hastete zum Eingang, schlug das Wolfsfell beiseite und lauschte. Noch nichts zu h ö ren. Offenbar ließ Mel sich Zeit.
»Was redest du da?«, fragte Tisea verwirrt. »Wir sind hier Gäste …«
»Falsch!« Aideen nahm das Kleiderbündel auf und drückte es Tisea in die Hand. »Ihr wart hier Gäste. Und jetzt zieh dich an, wenn dir dein Leben lieb ist.«
»Aber die Oberin hat uns …«
»Die Oberin ist tot!«, fuhr Aideen Tisea an. »Und ihr werdet es auch bald sein. Beeilt euch! Für lange Erklärungen ist keine Zeit.« Das blieb nicht ohne Wirkung. Hastig kleideten Tisea und Peme sich an. Es war nicht zu übersehen, wie
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