Königin der Schwerter
wandte sie den Kopf und blickte ihn an. »Viliana wurde als Scho ß kind von den Dashken verschleppt, nicht wahr?«, fra g te sie stockend.
»Woher weißt du das?« Hákon riss erstaunt die A u gen auf. »Vermagst du als Seherin auch in die Verga n genheit zu blicken? Sie ist … sie war meine Zwilling s schwester. Ich habe erst vor wenigen T a gen davon erfahren. Nur deshalb bin ich ins Hoc h land geritten. Ich wollte versuchen, etwas über sie herauszufinden.«
»Nein« Aideen schüttelte den Kopf. »Diese Fähi g keit habe ich nicht, aber du hast mir gerade meine Erinnerungen zurückgegeben. Ich …« Sie stockte und sah ihn an. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ihr Herz raste. Sie musste tief Luft holen, um die wenigen Wo r te hervorzubringen, von denen sie wusste, dass sie ihr ganzes Leben ändern würden. »Ich bin Viliana.«
37
Aideen spürte, wie es in ihrer Nase kribbelte, doch wieder blieben ihr die Tränen versagt. Hákon sah sie an, Verblüffung, Freude und Zweifel wechselten in rascher Folge in seinem Gesicht, während er nach den richtigen Worten suchte.
»Du?«, kam es ihm schließlich so zaghaft über die Lippen, als könnten zu laute Worte die kostbare Wahrheit zerstören. »Du bist meine Schwester?«
»Ja.« Aideen schluckte trocken. Ihre Stimme be b te vor Rührung und Glück. »Ja, es ist wahr. Ich spü r te es bereits, als Bethia dich vor den Dashken rettete. Aber damals war ich mir noch nicht sicher. Der Name de i ner Schwester – mein Name – ist wie ein Schlüssel, den ich verloren hatte. Du hast ihn mir zurückgeg e ben. Und jetzt …« Sie verstummte.
»Nicht weinen.« Hákon schloss Aideen fest in die Arme.
Die Berührung war nicht mehr fremd, etwas Ve r trautes lag darin, das Aideen ein wohliges Erscha u ern bescherte. »Keine Sorge, ich habe in meinem ganzen Leben noch keine einzige Träne vergossen«, sagte sie.
»Du … du kannst nicht weinen?« Hákon löste die Umarmung und starrte sie an. »Ich kann es auch nicht.« Er lächelte. »Wenn es noch eines Beweises b e durft hätte, dies ist er – du bist wahrlich meine Schw e ster.« Er umarmte sie erneut. »Ich wusste, dass du lebst«, sagte er glücklich. »Ich wusste es.«
»Was habt ihr hier zu suchen?«
Aideen und Hákon zuckten erschrocken zusa m men und sahen sich um. Weniger als fünf Schritte entfernt schwebte eine Frauengestalt, die aussah, als wäre sie ganz aus Nebelschwaden geformt.
»Wer seid Ihr?« Hákon schob sich schützend vor Aideen, die Hand am Heft seines Schwertes.
»Ich habe dich etwas gefragt, Sterblicher.«
»Ich bin Hákon, und das ist Aideen«, gab er knapp Auskunft. Er warf Aideen einen kurzen Blick zu und fügte hinzu: »Meine Schwester.«
» Und ich bin der Nebel, das Wasser, der Wind und die Luft …« Die Nebelfrau lächelte. »Oder wäre dir die Gestalt eines Schattenwolfes lieber?«
»Sie ist ein Dashke!« Aideen löste sich aus dem Scha t ten ihres Bruders, stand auf und deutete eine Verbe u gung an. Obwohl sie schon ihr ganzes Leben im Hoc h land verbracht hatte, war es das erste Mal, dass sie einem der Elementargeister in seiner friedlichen Form begegn e te. Sie war überrascht, dass der Dashke sich ihnen auf diese Weise genähert hatte, und fragte sich, welchen Grund er dafür haben mochte. »Verzeiht, dass wir in Euer Reich eing e drungen sind«, sagte sie mit fester Stimme. »Aber die Umstände erfordern ein r a sches und entschloss e nes Handeln. Wir konnten nicht anders.«
»Eine Hüterin.« Die Nebelfrau wirkte erstaunt. »Ist es die Stimme Zarifes, mit der du sprichst?«
»Ich spreche nur für mich.« Aideen straffte sich. »Ich diene Zarife nicht mehr. Sie wollte mich töten. So wie sie auch schon die Oberin und Bethia getötet hat.«
»Wir wissen, dass sie sich mit dunklen Mächten verbündet hat und diese ins Land holt.« Die Nebe l frau nickte bedächtig. »Ihr Ziel ist es, über Benize zu her r schen. Aber nun ist sie zu weit gegangen.« Sie gab e i nen eigentümlichen Seufzer von sich und sa g te: »Wir haben verlangt, dass sie die verlorenen Se e len an ihren Verbannungsort zurückschickt. Aber sie ist überzeugt, Macht über die Finsternis zu haben, die sie heraufb e schwört, und weigert sich. So wurde das Band, das zwischen den Priesterinnen des We i ßen Tempels und den Dashken bestand, von uns zerschnitten. Von nun an gehört das Hochland wi e der meinem Volk. Zarife und die Hüterinnen müssen es bis zum nächsten vo l len Mond verlassen haben.«
»Bis zum
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