Königin der Schwerter
Glut legte.
»Für dich. Ja, ja.« Ulama wartete, bis Tisea Platz genommen hatte, und erklärte ohne Umschweife: »Ich möchte, dass du etwas für mich ins Hochland bringst.«
»Ins Hochland?« Tisea starrte Ulama an. Ni e mand reiste ins Hochland, schon gar nicht so kurz vor Wi n tereinbruch. Seit die Krieger aus Torpak den Weißen Tempel zerstört und die Priesterinnen get ö tet hatten, gehörte das Hochland den Dashken und jenen, die mit ihnen im Bunde standen. Oft schon hatten die Herren von Torpak Krieger ausgeschickt, um Zarifes Körper zu finden und dem Mythos um ihre Rückkehr ein Ende zu bereiten. Junge Männer, furchtlos und begierig auf das Gold, das die Herrschenden demjen i gen versprochen hatten, der das Versteck entdeckte. Die meisten waren nicht z u rückgekehrt. Ihre Spuren verliefen sich zwischen den grünen Hügeln, und jene, die den Weg zurück fanden, waren verwirrt und kon n ten sich nur bruc h stückhaft an das erinnern, was ihnen widerfahren war. Was sie zu berichten wussten, hatte die Lege n den genährt und das Hochland zu einem geheimni s umwobenen Ort der Geister und Dämonen gemacht, von dem viele nur hinter vorgehaltener Hand spr a chen.
Tisea hatte Angst. »Ich … ich soll ins Hochland reisen?«, fragte sie noch einmal in der Hoffnung, sich verhört zu haben.
»Ja, das sollst du.« Ulama nickte bedächtig.
»Aber dort wohnt niemand. Nur die Geister und die Dashken.«
»Die Geister?« Ulama lachte, es klang wie tr o ckenes Pergament. »Ja, Geister mögen es wohl sein. Aber nicht nur. Es gibt viele Geschichten über das Hoc h land. Doch glaube mir, nur die wenigsten d a von sind wahr. Dir wird nichts geschehen.« Sie senkte die Stimme und schaute sich um, als fürchte sie, jemand könne ihr Gespräch belauschen. »Wer den geweihten Dolch bei sich trägt, ist im Hochland willkommen. Die Dashken werden ihm nichts a n tun.«
»Den geweihten Dolch?« Tisea verstand nicht.
»Den geweihten Opferdolch des Weißen Te m pels.« Tiefe Ehrfurcht lag in Ulamas Stimme. »In der Lege n de heißt es, dass Zarife nur dann in ihren Körper z u rückkehren kann, wenn ihrem neuen Kö r per das Herz mit diesem Dolch herausgeschnitten und in den alten Körper gelegt wird. Dann und nur dann wird auch ihre unsterbliche Seele wieder ei n kehren in die Hülle, die sie vor vielen hundert Jahren verlassen musste.«
»Aber warum ist der Dolch nicht im Hochland, wenn er so wichtig ist?«, fragte Tisea.
Ulama lächelte: »Das, mein Kind, ist schon fast e i ne eigene Legende. Aber eine sehr geheime. Ni e mand außer mir hat sie je gehört.«
»Niemand?« Tisea schaute Ulama fragend an.
»Niemand.« Ulama schüttelte den Kopf. »Es ist e i ne Legende, die meine Mutter an mich weitergab, bevor sie starb. Sie selbst hatte sie von meiner Mu t termutter erzählt bekommen, ehe diese für immer die Augen schloss. Die wiederum hatte sie von ihrer Mu t ter und so immerfort. Es ist eine Legende von Verrat, Neid, Habgier und Mut – und es ist auch die Legende meiner Vorfahren. Wenn du willst, wenn du es wir k lich willst, werde ich sie dir erzählen.«
Tisea nickte gebannt. Sprechen konnte sie nicht, zu ergriffen war sie von Ulamas Worten, zu stolz, dass sie teilhaben durfte an etwas, von dem zu allen Zeiten nur wenige Auserwählte gewusst hatten.
»Der geweihte Dolch von Benize war einst das wichtigste Artefakt hinter den Mauern des Weißen Tempels«, hob Ulama an. »Er ist mehr als nur ein Dolch, mehr als nur ein heiliger Gegenstand. Ihm wohnt echte Magie inne, die ihm, so heißt es, einst von den Göttern höchstselbst geschenkt worden war. Die Legende weiß zu berichten, dass er nur in Zeiten großer Not und zu den höchsten Festen verwendet wurde. Wenn die Menschen keinen Ausweg mehr wussten und sie in ihrer Not Beistand von den Gö t tern erflehten – oder wenn zu Ehren eines Gottes ein Tier geopfert werden sollte.«
»Das ist grausam.« Tisea runzelte die Stirn. »In den anderen Legenden wird nichts über Blutopfer erzählt.«
»Wie ich schon sagte, der Dolch fand nur sehr se l ten Verwendung. Und das war auch gut so. Denn wie alles Magische birgt der Dolch neben großer Macht auch große Gefahren in sich. Nur die H o hepriesterin selbst, die um diese Gefahr wusste, dur f te ihn führen. Nur sie durfte die Tiere opfern. In den alten Schriften, die nach dem Sieg von den Bastarden aus Torpak ve r brannt wurden, stand geschrieben, die Kräfte und T a lente des Geopferten würden im Augenblick des Todes
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