Königin der Schwerter
den starren Gesichtszügen mehr verbarg als nur gebrannte Tonerde.
Die Sekunden verstrichen. Langsam und zäh flo s sen sie dahin. Nur das Brummen der Halogenlampe war zu hören. Dann, zunächst fast unhörbar, mischte sich ein helles Summen in das sonore Geräusch des Netzteils. Sandra beachtete es nicht. Sie saß nur da und starrte den Affen an, als sei sie selbst zu einer St a tue geworden. Das Summen wurde lauter, zog an i h rem Ohr vorbei – und erstarb.
Sandra verzog keine Miene. Nicht die kleinste R e gung in ihrem Gesicht verriet, dass sie es gehört hatte. Bruchteile von Sekunden später jedoch schnellte ihre Hand ruckartig hoch und fuhr mit tö d licher Präzision auf eine Mücke nieder, die sich, von Licht und Kö r perwärme angelockt, auf ihren Arm gesetzt hatte. Das Insekt hatte nicht den Hauch einer Chance. In einem hellroten Blutfleck lag es ze r schmettert auf ihrem Arm. Der Anblick rief in San d ra Abscheu, aber auch ein Gefühl des Sieges hervor. Sie hatte das Insekt mit dem ersten Schlag erwischt. Gleichsam fasziniert und abg e stoßen, hielt sie den Arm ins Licht. Das Blut war eklig, besaß aber ohne Zweifel eine sinnliche Farbe. Die Mücke selbst sah mit ihren unnatürlich verrenkten Gliedern geradezu widerlich aus, aber der Sieg über die Kreatur weckte in ihr ein süßes Triumphgefühl und eine Erinnerung …
… der Blutfleck war groß, erstaunlich groß. Er war nicht hell, sondern von einer dunklen tiefroten Farbe. Und er wurde größer. Glänzend wie Öl im Sonnenlicht bahnte sich die zähe, dunkle Masse e i nen Weg über den staubtrockenen, von unzähligen Füßen aufgewühlten Boden. Fort von dem Körper der Novizin, die sich ke u chend am Boden krümmte. Die Hände auf die klaffende Wunde im Bauch g e presst, als könne sie das entrinnende Lehen damit aufhalten, starrte sie Sandra an, fassungslos und flehend. Der Anblick war grausam und mitleiderr e gend, und doch waren es Gefühle von Triumph und Macht, die diese Bilder begleiteten …
Sandra keuchte auf. Mit einer hektischen, fast pan i schen Bewegung fegte sie das Insekt von ihrem Arm, griff nach einem Papiertaschentuch und rieb damit wie besessen über den Blutfleck. Wie viele Mücken moc h te sie in ihrem Leben schon erschlagen haben? Hu n dert? Oder mehr?
Gleichgültig. Wie viele es auch immer gewesen sein mochten, nicht eine davon hatte sie auch nur eines Bl i ckes gewürdigt. Was ist nur in mich gefahren?, überle g te sie aufgebracht. Niemals zuvor war sie sich selbst so fremd gewesen. Was geht in mir vor? Und was, um alles in der Welt, waren das für entsetzliche Bilder?
Das Papiertuch begann sich in kleine Röllchen au f zulösen, die Haut ihres Arms war bedenklich gerötet. Sandra bemerkte es nicht. Erst als der Schmerz heftiger wurde, hielt sie in der Bewegung inne, knüllte das Papiertaschentuch zusammen und warf es achtlos zu Boden. Dann wandte sie sich dem Affen zu. »Du!«, stieß sie keuchend hervor. »Da steckst du doch dahi n ter.« Irgendwo in ihrem B e wusstsein flüsterte ihr eine leise Stimme zu, dass das unmöglich wat. Dass die Anschuldigung dumm und kindisch war und dass sie sich mit ihrem Verhalten absolut lächerlich machte. Aber Sandra war nicht in der Stimmung, sich zur Ve r nunft zu mahnen. Ivana hatte recht. Etwas stimmte nicht mit diesem Affen, und dieses Etwas ließ sich nicht vernünftig erklären.
Aber wenn der Affe glaubte, Grusel-Spielchen mit ihr spielen zu können, hatte er sich getäuscht. Sie war nicht so alt und gebrechlich wie die Gräfin de Lyss. Und sie war auch nicht so leicht einz u schüchtern. Sie hatte sich noch nie mit der erstbesten Erklärung z u friedengegeben und das Journalismu s studium nicht zuletzt deshalb begonnen, weil es sie danach drängte, alles zu hinterfragen.
»Du hast Biss. Aus dir wird mal eine Top-Journalistin«, hatte der Chefredakteur der HIT bei einem Volontariat in den letzten Semesterferien zu ihr gesagt. Das hatte ihr zwar noch keinen Job eing e bracht, aber immerhin war es ein Lob von allerhöch s ter Stelle gewesen und Balsam für ihre Stude n tenseele.
Entschlossen nahm sie das Telefon zur Hand und wählte Ivanas Nummer. Vielleicht war es ja noch nicht zu spät, und sie konnte ihr den Affen noch schnell vorbeibringen, damit ihre Tante ihn sich einmal a n sah.
Die Leitung war besetzt. Sandra wählte noch ei n mal, jedoch mit dem gleichen Ergebnis. »War ja klar.« Sie legte das Telefon beiseite und nahm sich vor, es später noch einmal zu
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