Königin der Schwerter
vorzubereiten.
In der Hütte angekommen, legte sie zwei Hol z scheite auf die Glut des Feuers. Obwohl die Sonne bereits den Morgennebel vertrieb, erschien ihr die Luft kühler als zuvor. Ihre Finger waren klamm und steif, die Muskeln schmerzten. Jeder Schritt, jede Bewegung fielen ihr doppelt schwer, und sie ahnte, dass es mehr war als nur die Kälte, die an ihren Kräften zehrte.
Ich werde immer schwächer. Ulama erschauerte. Obwohl sie es schon bei ihrer Mutter und Muttermu t ter erlebt hatte, hatte sie nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Es war, als ob der Dolch seine Beschützer vor dem Tod bewahrte. Einmal fortgeg e ben, ließ das Ende nicht lange auf sich warten.
Ein eisiger Luftzug streifte Ulama, und ihr Blick wanderte zur Tür. Für den Bruchteil eines Auge n blicks glaubte sie eine Bewegung vor dem Eingang auszum a chen, doch der Eindruck schwand so schnell, wie er gekommen war, und nur einen Wi m pernschlag später waren es wieder die Stämme der hoch aufragenden Bäume, die durch die geöffnete Tür zu sehen waren.
Ulama spürte, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Müdigkeit und Schwäche griffen nach ihr, und es fiel ihr immer schwerer, sich dagegen zu wehren. »So komm.« Sie flüsterte fast, während sie den Blick eh r fürchtig auf den Eingang der Hütte richtete, wo sich in diesem Augenblick erneut ein Schatten vor das Sonnenlicht schob.
***
Als Hákon Ulamas Hütte um die Mittagszeit erreic h te, fand er die Tür offen vor. Früh am Morgen war ein Bote aus Torpak im Dorf eingetroffen und hatte ihm und den anderen Männern, die in der Garde ihren Dienst taten, den Befehl überbracht, unverzü g lich in die Hauptstadt zurückzukehren. Im ersten Augenblick war Hákon erbost gewesen. Er war z u rückgekehrt, um seiner Mutter in dem bevorstehe n den Winter zur Hand zu gehen, und konnte es nicht fassen, dass man ihn nach nur einer Nacht in der Heimat zurückbeo r derte. Den Befehl zu missachten, stand jedoch außer Frage, und so hatte er seinen Ä r ger heruntergeschluckt und sich in aller Eile von seiner Mutter und Gor, dem älteren Bruder, verabschiedet, um den Rückweg anz u treten. Ulamas Hütte lag auf dem Weg zur Straße nach Torpak, und er wollte nicht vorbeireiten, ohne sich von der Ältesten seiner Sippe zu verabschieden.
Als er sich der Hütte näherte, spürte er, dass e t was nicht stimmte. Es war nichts, das er hätte mit Worten beschreiben können. Nichts, für das er mit den Augen irgendwelche Beweise fand. Es war ei n fach da – oder vielmehr: nicht da.
Unschlüssig, was er tun sollte, saß er ab, band sein Pferd an einem Baum fest und ging auf die Hü t te zu. Wohin er auch blickte, alles schien unverä n dert. Die Hühner scharrten im Verschlag hinter der Hütte auf dem staubtrockenen Boden, eine Handvoll blaugrauer Tauben hockten auf dem strohgedeckten Dachfirst, und aus dem Rauchabzug stieg eine dünne Rauchfa h ne auf. Hákon ging zur Tür. Der Anstand verbot es ihm, die Hütte unangemeldet zu betreten. »Ulama?«, rief er und spähte ins Dunkel. Der kräftige Klang se i ner Stimme scheuchte die Tauben auf. Eine Antwort erhielt er nicht. »Ulama, bist du da? Ich bin es, Hákon.«
Nichts regte sich, und niemand antwortete ihm. Vermutlich war Ulama irgendwo im Wald unte r wegs, um Kräuter zu sammeln, wie sie es häufig im Herbst tat. Hákon seufzte und wollte zu seinem Pferd zurüc k gehen, als er eine seltsame Kälte im Nacken spürte. Im ersten Augenblick glaubte er an eine Sinnestäuschung. Doch als er sich umdrehte, spürte er deutlich den ka l ten Luftzug, der, aus der Hütte kommend, über sein Gesicht strich. Eine Kä l te, wie er sie niemals zuvor gespürt hatte. Leblos und leer – die Kälte des Todes. »Ulama!«, rief Hákon noch einmal, während er in die Hütte stürmte, und wusste doch, dass er keine An t wort erhalten würde. Nicht jetzt, nicht heute – ni e mals mehr.
***
»Dann ist es also wahr.« Auf Jolfurs Stirn zeigte sich eine steile Falte, während er die Bluttaube b e trachtete, die vor ihm auf dem Tisch stand und hun g rig ein paar Körner pickte.
Es war kalt in der ärmlichen Blockhütte hoch oben in den Bergen nördlich des Waldlands, die ihm und einer Handvoll Getreuer seit einigen Jahren als Z u flucht diente. Zwar wurde der eiserne Ofen im Raum ständig mit neuen Holzscheiten bestückt, aber die Wärme, die das Feuer verbreitete, entschwand nur allzu schnell durch die Ritzen und Spalten im Gebälk. So
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