Königin der Schwerter
abzuw a schen, den die Trunkenheit bei dir hinterlassen hat. Der G e stank war unerträglich.« Hákon trat näher, reichte Allvar die Hand und half ihm aus dem Wasser. »En t schuldige, wenn ich dabei etwas unsanft mit dir war, aber ich muss mit dir reden.«
»Reden?« Allvar starrte Hákon an. »Worüber?«
Hákon prüfte mit einem kurzen Seitenblick, wie viele Dorfbewohner sie beobachteten. Dann raunte er Allvar zu: »Nicht hier. Wir gehen zu Ulamas Hü t te.«
Eine halbe Stunde später saßen sich die beiden Männer an einem Tisch in Ulamas Hütte gegenüber. Hákon hatte Allvar eine warme Decke und frische Kleider aus einer der Truhen gegeben, in der Ulama neben ihren eigenen auch allerlei Kleidungsstücke i h rer Söhne und Sohnsöhne aufbewahrt hatte.
»Du wolltest mit mir reden?« Allvar stützte den Kopf auf die Hände, hielt die Augen geschlossen und kaute auf einem Stück getrockneter Baumrinde, die für ihre heilsame Wirkung bei Kopfschmerzen b e kannt war.
»Ich habe Fragen«, erwiderte Hákon ernst.
»Dann frag.« Allvar stöhnte, als bereite ihm das Sprechen große Schmerzen.
»Was weißt du über meine Schwester?«, fragte Hákon geradeheraus.
Allvar zuckte zusammen, hob den Kopf und scha u te Hákon an: »Woher weißt du …?«
»Von dir«, fiel Hákon Allvar ins Wort. »Du kamst gestern Nacht zu Ulamas Totenwache und hast davon gesprochen.«
»Ich habe was?« Allvar riss bestürzt die Augen auf. »Bei den schwarzen Pforten des Halvadal! Ich gab de i nem Vater mein Wort, es niemandem zu e r zählen. Und jetzt …«
»… hast du dein Wort gebrochen. Schreib es dem Wein zu. Oder der Sorge um deine Töchter. Dann lässt sich der Wortbruch vielleicht besser verkraften. Aber wie auch immer, ich weiß es jetzt und verla n ge, dass du mir davon erzählst!«
»Verdammter Wein, verdammter Suff.« Schluc h zend barg Allvar das Gesicht in den Händen. »Ich wollte mein Wort nicht brechen. Wirklich nicht. Und ich wollte ihnen so gern ein guter Vater sein, ja, das wollte ich wirklich. Ich liebe sie so sehr. Aber ich habe ihnen nur Kummer bereitet, und jetzt …«
»… ist es zu spät, sich selbst zu bedauern.« Hákon spürte, dass seine Worte herzlos klangen, aber er kon n te für Allvar und das, was ihm wide r fahren war, kein Mitleid empfinden. Ein schwacher Mann, der sich so gehen ließ und die Liebe seiner Töchter mit Füßen trat, hatte in seinen Augen kein anderes Schicksal ve r dient. Dessen ungeachtet wus s te er den Kummer wohl für sich zu nutzen. »Ich m a che dir einen Vorschlag, Allvar«, sagte er. »Ich we r de nach deinen Töchtern Ausschau halten, wo i m mer ich bin, wenn du mir im Gegenzug alles erzählst, was du über meine Zwilling s schwester weißt.«
»Aber ich habe deinem Vater mein Wort geg e ben.«
»Mein Vater ist seit vierzehn Jahren tot.«
»Das Wort der Waldbewohner gilt auch über den Tod hinaus.«
»Allvar.« Hákon senkte die Stimme. »Willst du, dass ich mich nach deinen Töchtern umsehe, oder nicht?«
»Ja … doch.«
»Also dann – ich höre.« Hákon machte eine wohl bemessene Pause und fügte hinzu: »Ich wurde mein Leben lang belogen. Bis gestern ahnte ich nicht ei n mal, dass ich eine Schwester habe. Aber jetzt, da ich um ihr Schicksal weiß, werde ich alles daransetzen herauszufinden, was mit ihr geschehen ist.«
Allvar antwortete nicht sofort. Schließlich seufzte er, schloss kurz die Augen und begann zu erzählen. »Sie war eine Zehnte«, sagte er so selbstverstän d lich, als erkläre das Wort alles. »Es gibt nicht viele Zehnte in einer Blutslinie, aber sie war eine. Dein Vater wus s te es und deine Mutter auch. Ulama hatte es ihnen schon vor eurer Geburt gesagt. Aber sie wollten sie nicht hergeben, so wie es das Gesetz verlangt.«
»Das Gesetz?«, fragte Hákon. »Welches Gesetz?«
»Das Gesetz von Benize. Das Gesetz, den alten Glauben mit unserem Blut am Leben zu halten.« Al l var gab einen gequälten Laut von sich. »Niemand weiß, warum, aber sie kommen immer pünktlich. Sie wissen immer, wann eine Zehnte geboren wird. Zweimal konnte dein Vater deine Schwester vor den Dashken retten, beim dritten Mal kam er zu spät.«
»Die Dashken haben sie geholt?« Wie jedes Kind im Waldland kannte auch Hákon die schaurigen G e schichten über die Dämonen, die im Hochland hau s ten und angeblich immer wieder Kinder aus dem Waldland verschleppten. Doch wie alle Kinder hatte auch er diese Geschichten irgendwann nicht mehr ernst genommen. Seit er dem
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