Königin für neun Tage
nicht so weit, Thomas Fenton kostenlosen Wein in die Zelle zu bringen. Die Vorstellung, mit ihrem Vater nach Fenton Castle, das sie jahrelang nicht mehr gesehen hatte, zurückzukehren, hatte für Antonia wenig Reiz. Obwohl sie hoffte, dass ihr Vater Recht behalten und ihre Gefangenschaft bald ein Ende haben würde, hatte Antonia sich über die Zukunft noch keine Gedanken gemacht.
»Fenton Castle wird wenig bewohnbar sein. Du hast ja alle davon gejagt, einschließlich deiner eigenen Ehefrau«, sagte Antonia bitter.
»Ach Tochter, ich habe deine Mutter nicht fortgejagt.«
»Warum lügst du, Vater? Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie du Norman Powderham angewiesen hast, sie und Ellen zu vertreiben und das Haus zu verschließen.«
Thomas Fenton lachte leise. »Als Norman ankam, war sie längst fort. Margaret und diese Kinderfrau waren geflohen und mit ihnen das meiste Personal. Erst später habe ich per Zufall durch einen Reisenden erfahren, dass sie sich in einem Kloster an der cornischen Westküste befinden.«
Antonia fuhr erregt auf und trat vor ihren Vater. »Mutter lebt? Meine Mutter lebt noch? Warum hast du mir das niemals gesagt? Jahrelang lebte ich in dem Glauben, sie sei irgendwo umgekommen, nachdem du sie aus ihrem Heim vertrieben hast.«
Thomas Fenton zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Nun, zumindest vor drei Jahren ging es ihr gut. Wie gesagt, zufällig traf ich einen Mann, der in dem Kloster mit ihr und Ellen gesprochen hatte.«
Antonia runzelte die Stirn. »Wieso sprichst du von einem Kloster? Ich wüsste nicht, dass es in England noch Klöster gibt. Ich brauche dich wohl nicht daran zu erinnern, dass König Henry sie alle aufgelöst hat, wobei du auch nicht schlecht verdient hast, oder?«
Fenton hob abwehrend die Hände. »Erwarte jetzt nicht, dass ich mich dafür schäme! Ich folgte nur meinem König. Tatsächlich liegt das erwähnte Nonnenkloster so weit im Westen des Landes, irgendwo bei Lands End, dass es von den Ereignissen in England nahezu unberührt blieb. Kein Mensch kümmert sich darum, was in Cornwall geschieht, wenngleich die Nonnen nach außen hin den reformierten Glauben praktizieren und auch nicht als geistliche Damen auftreten.«
Antonia begann, ihrem Vater Glauben zu schenken. Ihr Herz pochte vor Aufregung schneller. Sollte es wirklich wahr sein und ihre Mutter noch leben? Und Ellen? Lebte auch sie noch? Antonia schwor sich, wenn sie jemals aus dem Tower herauskäme, würde sie nach Lands End reisen und die beiden Frauen suchen.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?«, fragte sie erneut.
Ihr Vater zuckte nur kurz mit den Schultern. »Ich habe wohl viel falsch gemacht, nicht wahr, Antonia?« Sie verzichtete auf eine Antwort und wartete gespannt auf seine weiteren Worte. »Vielleicht hätte ich dich von Anfang an akzeptieren sollen als das, was du bist – ein Mädchen. Seit ich hier bin, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Gibst du mir noch eine Chance, wenn wir wieder in Freiheit sind?«
Es war Antonia nicht möglich, darauf zu antworten, zu überraschend kam seine späte Reue. Außerdem fiel es ihr schwer, seinen Worten Glauben zu schenken. Antonia hatte seine Beschimpfungen und Beleidigungen nicht vergessen, auch nicht, dass er sie kaltblütig als Hexe angeklagt hätte, wenn Lady Catherine nicht schützend ihre Hand über sie gehalten hätte. Nie hatte Antonia von diesem Mann, der biologisch ihr Vater war, auch nur einen Funken Zuneigung erfahren. In ihrem Herzen war alles tot, sie konnte einfach keine Gefühle für ihn empfinden.
»Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht, Vater«, murmelte sie, wickelte sich in eine Decke und drehte ihren Kopf zur Wand. Sie war ihrem Vater dankbar, dass er nicht versuchte, das Gespräch fortzusetzen, denn sie wollte jetzt mit ihren Gedanken allein sein.
Der Schlüssel rasselte im Schloss, aber nicht Will, sondern ein unbekannter Soldat trat ein.
»Mitkommen«, raunzte er unfreundlich.
Antonia rappelte sich von der Pritsche hoch. »Wohin bringt man uns? Und wo ist Will?«
»Maul halten und mitkommen«, wiederholte der Soldat. Zwei weitere Wachen drängten sich in die Zelle und fesselten Antonias und Thomas Fentons Hände auf dem Rücken. Die Hand des Soldaten lag am Knauf seines Schwertes, das an seiner Hüfte hing. Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er es rücksichtslos benützen würde, sollten Antonia oder ihr Vater einen Fluchtversuch unternehmen.
Als Antonia in das gleißende Sonnenlicht des Septembertages
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