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Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)

Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)

Titel: Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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hinter einer geschlossenen Tür nahe dem Gepäckband das unverwechselbare Winseln eines elektrischen Bohrers zu hören glaubte. Das Werkzeug durchbohrte ein Material, das zu weich war, um großen Widerstand zu leisten, und ich meinte zu wissen, worum es sich handelte. Mein eigener Kevlarkoffer war fünfmal durchbohrt worden, als wir vor zwei Abenden über diesen Flughafen eingereist waren – fünf säuberliche kleine Löcher, die aus fünf verschiedenen Richtungen in das Gepäckstück gebohrt worden waren –, und jetzt wusste ich, dass Ray dran war. Und ich wusste auch, dass wir mit einer langen Wartezeit zu rechnen hatten.
    Halsband sackte auf seinem Barhocker in sich zusammen und bestellte noch mal vier Mojitos, während Heidi hektisch auf den glatten Fliesen hin und her rannte. Ray war nirgends zu sehen, und wir konnten nur ahnen, wie es ihm ergehen würde. Wenn sie in diesem Land erst einmal anfangen, in dein Gepäck zu bohren, werden die nächsten paar Stunden zur Nervenprobe. Zuerst wird dein Gepäckstück mit dem unheilvollen roten XXX gekennzeichnet, und dann wird es gründlich durchwühlt und akribisch untersucht. Dann werden dir wiederholt dieselben Fragen zu denselben Dingen gestellt: »Warum haben Sie all diese roten Zigaretten bei sich? Tragen Sie eine Zahnprothese? Würden Sie bitte mit mir zum Röntgenapparat auf der anderen Seite
dieser Wand kommen? Warum sind Sie hier? Warum tragen Sie diese Zahnbürste bei sich? Ist Ihre Mutter in Algier geboren? Wer ist Ihr persönlicher Zahnarzt? Warum verhalten Sie sich so nervös?«
    Die richtige Antwort auf all diese Fragen lautet »Nein« – wieder und wieder »Nein« – und der Preis für die geringste Unstimmigkeit kann in einem zehnjährigen Aufenthalt in einem kubanischen Gefängnis bestehen. Verstricke dich niemals in Widersprüche. Wenn der Zollbeamte glaubt, bei seiner ersten Frage verstanden zu haben, dass deine Mutter Zahnärztin in Algier ist, muss deine Antwort exakt dieselbe sein, wenn er dir fünf Minuten später dieselbe Frage stellt. Ändere niemals deine Geschichte, auch nicht im kleinsten Detail. Damit beschwörst du unweigerlich Probleme herauf.
    Ich wusste, dass Ray ein ganzes Sortiment persönlicher Geschenke dabei hatte, einschließlich Flaschen mit Absinth und Nachtsichtgeräte und Reizwäsche und SS-Nazischmuck. Außerdem brachte er seltene Arzneimittel aus Europa mit und viele tausende Dollar und orientalische Handfächer und diverse Parfüms und Kameras und Pornografie und allermodernste Utensilien zum Tätowieren. Er sah aus wie ein internationaler Zuhälter ohne den geringsten Respekt vor dem Gesetz. Wenn man sein Gepäck durchsuchte, war er geliefert.
    Auf dem Fernsehschirm in der Flughafenbar spielte eine kubanische Band »Guantanamera«, aber wir waren alle zu nervös, um uns an der Musik zu erfreuen. »Könnte sein, dass wir zum Wagen rennen müssen«, flüsterte ich Halsband zu. »Sieht so aus, als würde hier gleich jemand hopsgenommen.«
    Er sah mich überrascht an und trank schnell seinen Mojito aus. »Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Cops«, sagte er. »In diesem Land ist jeder ein Cop. Ray wird keinen Ärger kriegen«, sagte er. »Der ist kugelsicher.«
    Genau in dem Moment ging das Licht auf dem gesamten Flughafen aus, und die Leute hörten zu reden auf. Ich spürte, wie
eine Hand in der Dunkelheit meinen Arm packte, und hörte Heidi stöhnen: »Oh, mein Gott, oh mein Gott …«
    Es war Ray. Er war unbemerkt durch die Sperre geschlüpft, als es dunkel wurde und der Mob paranoider Touristen in Panik geriet. Wir bezahlten schnell unsere Zeche und eilten wortlos hinaus zu der weißen »Limousine«, die auf uns wartete. Der Terror lauert auf Kuba an jeder Ecke, und clevere Menschen fliehen wie die Ratten bei seinen ersten Anzeichen. Wenn die Panik losgeht, greift man als Erstes zu seiner Brieftasche und begibt sich dann zum nächsten Ausgang. Nur nicht rennen! Frauen umklammern stets ihre Handtaschen und geben sich alle Mühe, keine Angst zu zeigen, aber Gelassenheit fällt nicht leicht, wenn die Lichter auf einem ausländischen Flughafen ausgehen, auf dem man von Sittlichkeitsverbrechern und Dieben und Spionen und kommunistischen Polizisten umzingelt ist.
    Ja, Sir, und in einer solchen Situation braucht man dann als pannensicheres Fluchtfahrzeug nichts weniger als eine schrottreife und neunundvierzig Jahre alte Cadillac-Limousine mit einem gebrauchten Jugo-Motor unter der Haube.
     
     
    Wann immer ich jetzt an

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