Königreich der süßen Versuchung
auch ihm gegenüber. Nachdem sie die Eingangstür abgeschlossen hatte, durchsuchte sie sämtliche Schubladen. Nichts. Dann riss sie die Schranktür auf und durchwühlte die Kleidung. Da, endlich! In der Tasche einer schwarzen Hose fand sie ein kleines silbernes Handy. Schnell klappte sie es auf und fragte die letzten Nachrichten ab. Drei Anrufe waren von Lizzie, einer von ihrer Mutter, die den Tränen nahe war. Schnell drückte Andi auf die Antworttaste.
„Andi!“
„Mom?“ Andis Stimme zitterte. „Bist du es wirklich?“
„Natürlich, mein Kind. Wer sollte sonst an mein Telefon gehen? Aber sag, was ist da los bei euch?“
Andi atmete einmal tief durch. „Ich weiß es nicht, Mom. Ich weiß nur, dass ich das Gedächtnis verloren habe.“
„Was?“
„Jake hat mich gefunden, als ich mitten in der Nacht draußen auf dem Rasen herumgetanzt bin. An alles, was davor lag, konnte ich mich nicht mehr erinnern. Ich wusste nichts mehr von dir und auch nicht von Lizzie. Erst jetzt, nachdem ich ihre E-Mails gefunden habe, kann ich Kontakt mit euch aufnehmen.“
„Aber mein Liebes, das hört sich ja schrecklich an. Geht es dir sonst gut?“
„Mehr oder weniger. Es ist ein bedrohliches Gefühl, nichts mehr vom eigenen Leben zu wissen. Aber sonst ist alles in Ordnung, ich bin nicht verletzt oder so.“
„Gott sei Dank! Kommt denn deine Erinnerung allmählich wieder zurück?“
Andi antwortete nicht sofort, denn ein verschwommenes Bild von einer energischen Frau mit kurzem braunen Haar und blauen Augen tauchte plötzlich in ihrer Erinnerung auf. „So ganz allmählich. Hast du blaue Augen?“
„Aber natürlich! Von mir hast du sie doch geerbt. Du hast meine Augenfarbe vergessen?“
„Ich hatte vergessen, dass es dich überhaupt gab, Mom. Ich wusste noch nicht mal mehr meinen eigenen Namen.“ Plötzlich tauchten auch noch andere Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Ein grauhaariger Mann mit einem warmen Lächeln. Eine blonde junge Frau mit langen Locken und einem lauten Lachen. „Aber es wird besser, Mom, seit ich deine Stimme höre.“ Andi traute sich kaum, sich zu freuen. Endlich würde sie wieder eine Vergangenheit haben, war wieder ein Mensch mit einer eigenen Identität. Plötzlich sah sie das Haus vor sich, in dem sie aufgewachsen war, ihre alte Schule, ihren Hund Timmy …
„Bist du wirklich mit deinem Chef verlobt?“
Die Stimme der Mutter rief sie in die Gegenwart zurück. An die Verlobung konnte sie sich immer noch nicht erinnern. „Er hat gesagt, wir hätten uns verlobt, kurz bevor ich das Gedächtnis verloren habe. Aber ich weiß nichts davon.“
„Liebst du ihn denn?“
„Oh, ja. Ich habe ihn immer geliebt. Schon seit Jahren.“
„Aber du hast nie etwas davon gesagt. Ich wusste nicht mal, dass ihr befreundet wart.“
Andi runzelte die Stirn. Seltsamerweise zeigten die Erinnerungsfetzen, die ihr Gehirn plötzlich geradezu überschwemmten, nie Bilder von ihr und Jake in einer privaten Situation. Erinnerungen an ihre Zusammenarbeit waren bereits reichlich da, aber von einem Liebesverhältnis war nichts zu entdecken.
„Das waren wir wohl auch nicht“, erwiderte sie langsam.
6. KAPITEL
„Ihr wart gar nicht zusammen, und jetzt seid ihr plötzlich verlobt? Das verstehe ich nicht.“
Vergeblich versuchte Andi ihre Mutter zu beruhigen. Schließlich beendete sie frustriert das Gespräch. Wer konnte ihr nur weiterhelfen? Wer war in der Lage, ihre vielen Fragen zu beantworten? Lizzie vielleicht? Glücklicherweise war die Telefonnummer ihrer Schwester gespeichert.
„Ja, Ihre Majestät?“, meldete Lizzie sich kichernd.
„Ach, hör auf, Lizzie!“ Andi war nicht zum Scherzen aufgelegt. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier passiert ist.“
„Da hast du recht. Also musst du bitte alles nacheinander und langsam erzählen. Doch das Wichtigste zuerst: Heiratest du wirklich deinen Chef?“
„Selbst das weiß ich nicht. Ich habe das Gedächtnis verloren und bin jetzt plötzlich verlobt. Aber seit ich deine Nachrichten auf dem Anrufbeantworter gefunden und mit Mom gesprochen habe, kommt die Erinnerung wieder zurück, wenn auch ganz allmählich. Und ich kann mich beim besten Willen nicht entsinnen, mich mit Jake Mondragon verlobt zu haben.“
„Du hast mir auch nie erzählt, dass ihr eine Beziehung habt.“
„Davon weiß ich auch nichts. Zwar habe ich schon seit Jahren für ihn geschwärmt, aber daraus ist nie etwas geworden. Nun bin ich plötzlich mit ihm verlobt und habe
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