Königreich der süßen Versuchung
sie sich an Jake.
Er lachte. „Irgendwas Schönes gibt es überall.“
„Auch in der Antarktis?“
„Da gibt es bereits zu viele Eroberer, die können nicht noch einen König gebrauchen. Aber ich weiß, was du meinst. Viele Leute haben damals geglaubt, dass aus Ruthenia nichts mehr zu machen sei. Unter den Kommunisten und danach war es mit dem Land immer nur abwärtsgegangen. Die Menschen hatten jede Hoffnung und Arbeitsmoral verloren, und ihnen fehlte jegliche Motivation. Drei Jahre später sah jedoch plötzlich alles ganz anders aus. Es ist immer wichtig, nicht den Glauben zu verlieren.“
„Ja, und Arbeit zu investieren.“
„Das auch. Aber wenn man ein Ziel und einen guten Plan hat, wie dieses Ziel zu erreichen ist, dann kann eigentlich nichts schiefgehen.“
Und das hatte er bewiesen. Ruthenia ging es von Jahr zu Jahr besser. Und genauso zielgerichtet verfolgt er den Plan, mich zu heiraten, dachte sie. Weil es das Beste für sein Land war. Und ein weiterer Schritt zu diesem Ziel war offenbar, mit ihr zu schlafen. Noch in dieser Nacht. Doch das würde sie nicht zulassen.
Die Straße wand sich jetzt in Serpentinen den Berg hinauf und mündete schließlich in einem Feldweg, der an einigen Hütten vorbeiführte und schließlich vor einem Holzgatter endete. „Ab hier sind wir auf uns selbst gestellt.“ Jake öffnete die Tür und sprang aus dem Wagen. Er machte den Kofferraum auf, nahm den Picknickkoffer heraus und grinste. „Und da wir keine Sherpas haben, die unser Gepäck tragen, sollten wir vielleicht möglichst bald essen. Mann, ist der schwer! Er sieht aus, als hätte er bereits im 19. Jahrhundert einer königlichen Picknickgesellschaft gedient.“
„Hat er wahrscheinlich auch.“ Zärtlich strich Andi über die ledernen Verschlüsse. Sie gingen auf das Feld, das sich hinter dem Gatter erstreckte und auf dem ein paar Schafe weideten. Unter einem Baum breiteten sie eine Decke aus und packten den Koffer aus.
Jake öffnete die erste Schachtel. „Hm, gefüllte Kohlrollen, sehr typisch für Ruthenia.“ Absichtlich hatte Andi auch ein paar traditionelle Gerichte einpacken lassen. Sofort nahm Jake sich eine Kohlrolle und biss herzhaft hinein. „Das ist gut. Die New Yorker haben ja keine Ahnung, was ihnen entgeht. Wir sollten daraus einen Exportschlager machen.“
„Kannst du eigentlich immer nur ans Geschäft denken?“, fragte sie, halb lächelnd, halb ernsthaft.
„Ganz ehrlich? Ja. Aber das weißt du ja bereits.“ Er zwinkerte ihr zu und biss wieder ab.
Immerhin war er aufrichtig. Innerlich seufzend nahm sie eine zweite Schachtel aus dem Korb. Darin waren dünne Teigrollen, gefüllt mit frischem Ziegenkäse, die man mit einer scharfen Soße aß. Wie vieles in Ruthenia war auch dieses Gericht überraschend gut. „Auch nicht übel.“ Andi biss noch einmal ab. „Wie wäre es mit einem ruthenischen Restaurant mitten in Manhattan?“
Jake nickte fröhlich. „Nicht schlecht. Du musst zugeben, wir sind ein gutes Team.“
„Ja.“ Ein gutes Team, ja, das waren sie. Aber reichte das? Sie wollte mehr. Sinnend blickte sie ins Tal. Unter ihnen glänzten die Dächer der Stadt in der hellen Mittagssonne. „Warum hat man damals das Schloss eigentlich nicht hier oben gebaut? Das hätte man doch viel leichter verteidigen können.“
„Ja, aber das Bauen selbst wäre sehr mühselig gewesen. Der Weg hier rauf ist doch sehr steil.“
„Und die Bauern hätten alles hier rauftragen müssen. Oder mit Ochsenkarren befördern.“
„Genau.“ Jake öffnete den nächsten Behälter. „Und wer weiß, dann hätten die Bauern vielleicht revoltiert. Da war es schon besser, das Schloss unten gleich neben der Stadt zu bauen.“
„Als Nachfahrin von Bauersleuten kann ich nur zustimmen.“
Ungläubig sah Jake sie an. „Du bist die Verlobte des Königs und kein Bauernmädchen.“
„Aber ich stamme wirklich von Bauern ab.“ Andi öffnete eine Flasche ruthenischen Apfelsaft und trank einen kräftigen Schluck. „Ich bin die Erste in meiner Familie, die aufs College gegangen ist.“
„Tatsächlich? Was für Berufe haben denn deine Eltern?“
Sie schwieg kurz. Zu dumm, dass sie früher nie über ihre Familie gesprochen hatten. Aber Jake hatte sich nie dafür interessiert. „Mein Dad arbeitet in einer Autoreifenfirma, und meine Mom führt die Cafeteria unserer örtlichen Grundschule.“
Jake sagte nichts und nahm sich auch eine Flasche aus dem Korb. Unsicher sah Andi ihn an. Ob er jetzt schockiert war?
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