Königsallee
Reuter warf dem Exboxer die Mappe zu. »Du fährst, Bruno.«
Wegmann folgte ihm. »Und ich dachte, ich sei schneller als du.«
»Hab in der Festung geschlafen. Feldbett im Frühbesprechungsraum.«
»Hat dir dein Vermieter gekündigt, oder was?«
Sie liefen über den Hof – Reuter spürte, dass ihm die frische Luft guttat.
Wegmann lachte. »Weißt du, wie deine Frisur aussieht?«
»Sag’s lieber nicht.«
Der Dienstwagen war heute ein Ford Mondeo. Wegmann startete. »Ich hoffe, du hast den Kerl gecheckt. Ohne Vorbereitung sollte man einen Zeugen nicht aufsuchen. Nicht in einem Mordfall.«
»Meinst du, ich drehe Däumchen, während ich eine Ewigkeit auf dich warte?«
»Ewigkeit?«
»Und, ja, Marius Karge hat bei uns eine Akte. Eine Trunkenheitsfahrt, die ihn den Lappen gekostet hat, und in dem Zusammenhang eine Beamtenbeleidigung, die eingestellt worden ist. Außerdem hat man im letzten Sommer Koks bei ihm gefunden, allerdings reichte die Menge nicht für eine Verurteilung.«
»Was studiert er?«
»Betriebswirtschaft, wie die Richtertochter auch.«
»Saufen und koksen. So sieht also unser Managernachwuchs aus. Wer hat ihn damals geschnappt, Drogenfahndung?«
»Nein, eine Streife. Ruhestörung, nächtliche Party im Zoopark, Nacktbader im Teich. Die Kollegen haben die Klamotten gefilzt und Drogen aller Art gefunden.«
»War Henrike auch dabei?«
»Möglich. In der Akte taucht ihr Name allerdings nicht auf.«
»Vielleicht hat jemand seinem Lieblingsrichter einen Gefallen getan.« Wegmann bog in die Bilker Allee ein und beschleunigte. Dabei fingerte er eine Zigarette aus der Schachtel.
»Nicht im Auto«, protestierte Reuter.
Wegmann ließ das Fenster herunterfahren, zündete den Glimmstängel an und blies den Rauch nach draußen.
Reuter klappte die Sonnenblende herunter, begutachtete sich im kleinen Spiegel und fuhrwerkte mit den Fingern durch seine Locken, um sie zu bändigen. Dabei fragte er: »Wie viele Leichen siehst du so pro Woche?«
»Warum fragst du?«
»Weil ich staune, dass dich Henrikes Tod so fertigmacht.«
Wegmann hielt die Zigarette in die Höhe. »Das ist nur gegen den Geruch, den du verströmst.«
Karge wohnte im Stadtteil Bilk, Karolinger Straße, wo sie am schönsten war: hohe Bäume entlang des Düsselbachs, der die Fahrbahn längs in die zwei Richtungen teilte.
Henrikes Exfreund öffnete nach dem ersten Klingeln. »Seien Sie bitte leise, meine Mitbewohner schlafen noch.«
Eine Wohngemeinschaft. Der Student ging voraus, Zottelhaare, lange Koteletten, Nickelbrille. Der glatte Gegenentwurf zu Robby Marthau, überlegte Reuter.
Der Flur mündete in ein geräumiges Zimmer. Hohe Decke, Blick auf die Düssel. Karge setzte sich auf das ungemachte Bett und wies auf zwei Polstersessel, alte Teile, wie von Oma geerbt.
»So früh schon auf?«, fragte Reuter. »Als Student, und das am Sonntag?«
»Noch auf, kann man sagen. Ich hab die Zeitung auf dem Heimweg gekauft und danach war an Schlaf nicht mehr zu denken. Ich kann’s noch gar nicht glauben.«
Auf dem Tisch lag der Blitz – die Meldung über den Mord auf der Titelseite. Wegmann schnappte sich das Blatt, strich es glatt und las.
Reuter schlug seinen Notizblock auf. »Wo und wann genau haben Sie sich mit Henrike Andermatt getroffen?«
» Sam’s Lounge an der Kö. Am Vormittag, so gegen elf. Sie hatte angerufen und mich dorthin bestellt. Sie muss schon eine Weile dort gewesen sein, denn ihr Wein war sicher nicht ihr erster.«
Reuter schrieb mit und rechnete: Gegen zehn war Henrike aus dem Haus in der Vulkanstraße getürmt. Von dort zur Königsallee waren es rund zwei Kilometer – zu Fuß in einer halben Stunde zu schaffen, mit der U-Bahn noch rascher.
»Was war dann?«
»Sie war völlig aufgedreht. Wollte unbedingt einen Ausflug nach Duisburg unternehmen. Aber ich hatte keinen Bock. Dann verlangte sie mein Auto. Sie hat ziemlich gezickt und genervt.«
»Haben Sie ihr das Auto gegeben?«
»Natürlich nicht. Sie war ja fast betrunken.«
»Wann haben Sie sich getrennt?«
»So etwa nach einer Stunde.«
Reuter notierte an den Rand des Blocks: Duisburg – mit drei Fragezeichen.
»Und?«
»Sie ging Richtung Heinrich-Heine-Allee. Vielleicht zur U-Bahn-Station. Sie wollte nach wie vor nach Duisburg. Ich will ganz offen zu Ihnen sein, denn es gab natürlich Zeugen in dem Lokal. Wir haben uns ziemlich gefetzt, Henni und ich. So hysterisch habe ich sie noch nie erlebt. Und alles nur weil ich ihr meine Karre nicht gegeben habe.
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