Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
mittlerweileegal. Mit dem nächsten Lazarettzug begann seine Reise in die Heimat – und es sah ein wenig so aus, als sollte das Pauls letzter Weg werden.
Ein klarer Wintertag erhob sich mit rosigem Schein über Königsberg, und die zaghaften Strahlen einer kühlen Sonne ließen Dächer, Bäume und Straßen mit frostigem Glitzern erstrahlen. Es war ruhig – aber so etwas wie eine Ruhe vor dem Sturm. Gauleiter Koch hatte sich, erregt über die negativen Nachrichten von der Front und einem der darauf folgenden unberechenbaren Wutanfälle Hitlers am Telefon in seine nobel eingerichtete Villa zurückgezogen und versucht, mit einer Flasche französischen Cognacs seine Nerven zu beruhigen. Aber es war ihm nicht gelungen, im Gegenteil. Er rannte wie ein Berserker durch sein Haus, fluchte in einem fort und raufte sich die Haare. Warum lief bloß in letzter Zeit immer alles schief? Der Teufel wollte es, dass bei Stalingrad durch eine Zangenbewegung der Russen Tausende deutsche Soldaten eingeschlossen waren. In Leningrad, das man siegessicher als schon erobert abgehakt hatte, war es den Sowjets gelungen, über Schlüsselburg eine schmale Durchgangsverbindung aufzubauen, von der sie die Stadt nun von zwei Seiten aus wieder mit Lebensmitteln versorgen konnten.
Aber noch ärgerlicher als die politische Lage war für ihn die Sache mit dem Bernsteinzimmer, das er eigentlich für den Führer nach Linz transportieren sollte, aber vorsorglich im Königsberger Schloss zwischengelagert hatte. Eigentlich hatte Koch ja daran gedacht, zumindest einen Teil dieses unsagbar kostbaren Materials heimlich für sich selbst zu behalten. Wem würde schon auffallen, wenn etwas fehlte? Es gab in diesen unsicheren Zeiten keine Garantie, dass nicht mal etwas verloren ging, gerade beim Transport so schwerer Kisten über eine große Distanz hinweg. Doch dieser lästige Museumswärter, der das Zimmer schon im russischen Puschkin bewacht hatte, saß förmlich auf seinemSchatz und war ihm schon die ganze Zeit ein Dorn im Auge. Dieser Mistkerl, der sich als eine Art Beauftragter des ehemaligen Zaren betrachtete und der jedes abgebrochene Engelsköpfchen, jede Zierranke aus dem kostbaren Material kannte, war der Einzige, der ihm vielleicht noch Schwierigkeiten machen konnte. Es klopfte, und sein Diener reichte ihm eine gerade eingetroffene Depesche vom Führerhauptquartier, die verschiedene Anordnungen enthielt. Beim letzten Satz stutzte er: »... und darum wird der 6. Armee im Kessel von Stalingrad unter allen Umständen die Kapitulation verboten. Der Kampf muss bis zur letzten Patrone gehen!« Koch starrte mit glasigem Blick auf das Papier, auf das, was ihm da schwarz auf weiß in die Augen sprang. Das hieß, den Untergang aller dort eingeschlossener Soldaten in Kauf nehmen! Selbst ihm, dem Führer bis zum Letzten ergebener Funktionär, erschien dieser Befehl wahnwitzig. Zum ersten Mal stiegen so etwas wie Zweifel am Endsieg in ihm auf. Völlig betrunken und rasend vor Wut warf der sonst immer so beherrschte Gauleiter die leere Flasche gegen die Wand, wo sie klirrend zerschellte.
Nachdem die Alliierten unmissverständlich gedroht hatten, ihre Luftangriffe »flächendeckend« zu verstärken, breitete sich in Deutschland die große Furcht vor den Amerikanern und Briten aus. Königsberg lag etwas abseits und man hegte immer noch die Hoffnung, weitgehend verschont zu bleiben. Eine leise Angst und Vorahnung blieb jedoch, man redete sich ein, es könne ja nicht so schlimm kommen, und vergaß dabei ganz, wie oft der Himmel schon Feuer und Zerstörung gespuckt hatte und wie viele Bomben bereits auf deutsche Städte gefallen waren.
Trotz kriegsbedingter Einschränkungen gingen die Bewohner Königsbergs wie gewohnt ihren täglichen Geschäften nach und glaubten fest an die Versprechungen Hitlers, dass der Endsieg ganz nahe war. Sie waren sich weder ihrer gefährlichen Lage bewusst,noch ahnten sie, dass der Feind gerade ihre Stadt einmal besonders ins Visier nehmen würde.
Die freundlichen Sonnenstrahlen erreichten an diesem Morgen auch die Villa von Walden, in der eine ungewöhnliche Ruhe herrschte. Nachdem Gertraud ausgezogen und in einer Ferntrauung Frau von Treskow geworden war, bewohnte Louise das geräumige Haus nur noch mit ihrem Enkel Theo. Wie jeden Morgen begab sie sich um sieben Uhr nach oben, um Theo, der die Oberschule in Königsberg besuchte, zu wecken. Doch heute fand sie zu ihrem großen Schrecken sein Bett leer und unbenutzt. Ein mit wenigen
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