Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Seidels lautete: Hinhaltender Widerstand, bis bei Poltawa wieder eine neue Front aufgebaut war.
Zu diesem Zweck ließ er zwei Batterien abtrennen, während sich die anderen drei Batterien in Richtung Kursk bewegen sollten.
Tanja hatte ihr Köfferchen gepackt und stand abseits. Sie ahnte die Schwierigkeiten, sah die Gefahren voraus, in die Paul geraten würde und vor denen sie ihn aus einem tiefen Urinstinkt einer Liebenden heraus beschützen wollte. Schließlich kannte sie das russische Land, die Eigenheiten der Menschen, ihre Sprache und auch die unvorhersehbaren Kapriolen des Wetters.
Niemand achtete auf sie.
Paul hatte alle Hände voll zu tun, denn sie besaßen nur noch vier funktionsfähige Zugmaschinen und die gleiche Anzahl Geschütze. Als einer der beladenen Lastwagen in langsamem Tempo anfuhr, sprang Tanja rasch auf und versteckte sich unter derPlane. Niemand hatte den blinden Passagier bemerkt, der mit der Truppe nun ins Ungewisse fuhr.
Die einzige, ausgebaute Rückzugsstraße war wie vorhergesehen ständig durch liegen gebliebene Fahrzeuge blockiert, und sie kamen daher nur in beängstigendem Schneckentempo voran. Die Lage für die deutsche Armee in Russland sah jetzt tatsächlich bitterernst aus. Die Front war verwischt, sie hatten die Sowjets im Rücken, oder, was noch schlimmer war, sie waren ihnen vielleicht sogar voraus.
In der ersten Nacht im provisorischen Lager, das sie in Igelstellung aufgebaut hatten, wälzte sich Paul schlaflos auf seiner Pritsche, dann trat er hinaus ins Freie, zu dem Wache habenden Schützen Hans. »Willst du?«, fragte er und zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. Der andere nickte, und den aufsteigenden Rauchwölkchen nachsehend, dachten sie ohne viel Worte an das Gleiche, nämlich daran, dass sie hier auf einem Pulverfass saßen, das jeden Augenblick in die Luft gehen konnte. »Ob wir wohl noch mal gesund nach Hause kommen?«, fragte Hans. »Wer hätte gedacht, dass sich das Blatt mal so wendet.«
»Besser, wir denken da nicht drüber nach. Irgendwie geht es auch mal wieder andersrum.«
»Aber haben wir dann noch genügend Munition, genügend Männer, die kämpfen wollen? Zu viele, die an den Sieg geglaubt haben, sind schon den Bach runter.«
Paul antwortete nicht. Er kniff die Augen zusammen, als habe er in der Ferne etwas gesehen. Doch in der Weite der russischen Felder war kein Zeichen von Leben zu erkennen, kein Haus und kein Mensch. Er blickte in den ruhigen, glasklaren Sternenhimmel, dann stand er auf und überflog mit einer plötzlich aufsteigenden, inneren Unruhe noch einmal den in der Mitte zusammengestellten Fuhrpark. Da, da war es wieder! Ein Geräusch in einem der Lastwagen, ein Rumoren und eine leise Bewegung an der Bedeckung ließ ihn hellwach werden. Eine Ratte? Leiseschlich er näher, stieg auf die Ladefläche und schlug mit einem Ruck die Plane zur Seite. Tanja, in einer alten Männerhose und weiten Jacke, starrte ihn mit großen Augen ängstlich an. »Moi ljublimez«, (Mein Liebling) stammelte sie leise und wollte ihm um den Hals fallen. »Ich immer bei dir bleiben!«, fügte sie in ihrem gebrochenen, drolligen Deutsch hinzu. »Waschen, kochen, alles!« Sie nahm eine Scheibe Brot aus einem Papier und hielt es ihm hin. »Da – für dich!«
»Bist du verrückt geworden?« Paul stieß sie so grob zurück, dass das Brot zu Boden fiel. »Verschwinde«, schimpfte er. »Wie kommst du bloß auf die Idee, mir nachzulaufen? Das hier ist kein Spiel – das ist Krieg. Da können wir keine Frauen gebrauchen. Und außerdem bist du eine Russin.«
Tanja sah schuldbewusst zu Boden, sie verzog das Gesicht wie ein kleines Kind und begann, lautlos zu weinen. Ihr ersticktes Schluchzen rührte Paul. Liebte sie ihn tatsächlich so sehr, dass sie alles im Stich ließ, ihr Heim, ihre alte Mutter und sogar ihren Sohn Kolja? Er legte vorsichtig den Arm um sie. »Tanja! Das musst du doch verstehen! Du bist in Lebensgefahr. Wir wissen ja selbst nicht, ob wir hier noch heil herauskommen. Deine eigenen Landsleute werden dich abknallen!«
Sie klammerte sich mit aller Kraft an ihn. »Egal, du bei mir!«
Er schüttelte den Kopf. Dieser Frau war nicht zu helfen. Zurückschicken war von hier aus unmöglich. Aber was sollte er jetzt bloß mit ihr anfangen?
Schüsse zerrissen plötzlich die Luft, das Rollen von schwerem Gerät ertönte, Feuersalven aus Mörsern durchpflügten den vorher noch so ruhigen Himmel. Tanja zog sich zu Tode erschrocken wieder unter die Plane
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