Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Beerdigung von Lutz hatte das junge Mädchen zwar teilgenommen, war aber ohne ein Wort ganz plötzlich verschwunden gewesen. Und ihr selbst war danach immer etwas dazwischengekommen, das sie abgehalten hatte, die Kaufmannsfamilie, die vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Königsberg ein großes Warenhaus besaß, aufzusuchen. Die Kreuzbergers hatten nach einiger Zeit, zermürbt von häufigen Attacken, eingeschlagenen Fensterscheiben und an die Wand geschmierten ›Juden raus‹ – Parolen, ihr Geschäft geschlossen und sich ins Privatleben zurückgezogen. Eines Tages war Hannas Vater unter undurchsichtigen Gründen vorübergehendins Quednauer Gefängnis gebracht worden. Seitdem wusste man nichts mehr von ihm.
Matt sank Magdalena auf ihr Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte gegen die Decke. Der Abschied von Paul hatte sie aufgewühlt und mit dunklen Gedanken erfüllt. Sie spürte weder Lust zum Lesen, noch dazu, sich auf die Vorlesung morgen in der Universität vorzubereiten. Nach einer Weile erhob sie sich seufzend. Sie musste es endlich hinter sich bringen und sich jetzt gleich zu Fuß auf den schweren Gang zu Hanna machen. Vielleicht würde dieser Besuch sie ja auch auf andere Gedanken bringen.
Als sie nach einem längeren Spaziergang schließlich vor dem großen Portal stand, an dem ein Mädchen mit Haube und weißer Schürze ihr erst nach geraumer Weile öffnete, spürte sie sofort die beklemmende Atmosphäre, die Angst, die unsichtbar hinter diesen Mauern herrschte. Schon eine Weile war Hanna nicht mehr zu den Vorlesungen gekommen – vielleicht hatte sie das wachsende Misstrauen entmutigt, die Abneigung gegen alles Jüdische, die Verachtung, die ihr plötzlich entgegenschlug.
Im Haus war es ungewöhnlich still, niemand von der Familie ließ sich sehen, als sie hinter dem Mädchen die Treppe zu Hannas Zimmer im ersten Stock hinaufstieg. Hanna stand am Fenster, als sie eintrat. Sie war blass, in einem dunklen Kleid mit weißem Kragen, und ihre zierliche, kleine Gestalt wirkte geradezu zerbrechlich.
»Guten Tag, Hanna!« Magdalena ergriff ihre Hand, die kalt und schlaff war. Sie versuchte, ein paar belanglose Worte zu drechseln, tat so, als habe sie Hanna an der Universität vermisst und geglaubt, sie sei krank. Doch der traurige Blick aus ihren dunkel umschatteten Augen machte sie verlegen. Unvermittelt unterbrach das Mädchen ihre Rede. »Ich bin sehr froh, dass du mich besuchst, Magdalena. Aber du weißt bestimmt nichts vondem Furchtbaren, das inzwischen mit uns geschehen ist. Man hat nach meinem Vater nun auch meinen Bruder Felix verhaftet und weggebracht – vielleicht in irgendein Gefangenenlager!« Ihre Stimme erstickte und sie musste sich erst wieder fassen. »Und bald wird man Mama, mich und Jakob auch holen. Dann sollen wir, wie alle Juden in Königsberg, deportiert werden. Wohin, weiß keiner.«
Hanna verzog das Gesicht, bedeckte die Augen mit der Hand und wandte sich ab.
Bestürzt sah Magdalena sie an. »Felix – man hat ihn verhaftet? Ich hatte ja keine Ahnung.« Ihr fehlten für einen kurzen Moment die Worte. »Du meinst, man wird es wagen …«, sie brach ab, weil sie das Wort nicht herausbrachte und schüttelte den Kopf. »Aber doch nicht euch, eine der angesehensten Familien in Königsberg?«
»Seit zweihundert Jahren leben wir hier – mein Vater ist Ehrenbürger«, sagte Hanna mit tonloser Stimme und wischte sich die Tränen ab. »Aber jetzt weiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Mutter liegt mit Fieber im Bett, sie fantasiert und hat ein schwaches Herz. Der Doktor kommt nicht, jeder wendet sich von uns ab. Diesen Kummer, diese Demütigung, als sie Vater abführten und dann Felix verhafteten … das hat Mutter völlig zerschmettert.«
Magdalena blieb stumm. Sicher hatte man den Juden unter dem Nationalsozialismus das Leben in den letzten Jahren schwer genug gemacht, ja die meisten bereits aus Königsberg vertrieben – aber das, was jetzt geschah, spottete aller Humanität. Auch wenn die Ergebnisse der Konferenz am Wannsee bereits als bedrohlicher Schatten am Horizont der Zukunft standen, so machte es doch Mühe, die Unmenschlichkeit zu begreifen, mit der man die Stadt mit dem Flüstergespenst des Terrors unterhöhlte.
»Hanna, du musst fliehen – dich irgendwo verstecken, sofort!«, beschwor sie in einem ersten Impuls das Mädchen, dasdarauf nur unsicher die Schultern zuckte und sie mit großen, verweinten Augen ansah. »Aber wohin soll ich
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