Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
denn gehen?« Ihre Stimme klang wie ein Aufschrei. »Ich kann doch meinen Bruder und meine Mutter nicht allein hier lassen! Jakob ist noch klein – er versteht ja gar nicht, worum es geht! Als Lutz noch lebte«, ihre Stimme erstickte, sie brach in heftiges Schluchzen aus und war erst nach Weile in der Lage weiterzusprechen, »da haben wir überlegt, ob wir zusammen fliehen sollten. Aber dann wagten wir es nicht – es ging auch alles so schnell, als er eingezogen wurde. Es sollte eben nicht sein.« Mit einem tiefen Seufzer brach sie ab. »Ich danke dir jedenfalls, Magdalena, dass du überhaupt gekommen bist. Ich muss mich wohl in mein Schicksal fügen …«
»Musst du nicht«, unterbrach Magdalena sie scharf. »Ich kann nicht zulassen, dass man dich von hier verschleppt. Das bin ich meinem Bruder schuldig! Komm mit zu mir. Ich versteck dich, wenn es nötig ist. Bis alles vorbei ist …«
Hanna schüttelte abwehrend den Kopf. »Verstecken? Aber nein, wie stellst du dir das vor? Soll ich etwa hier weggehen und Mama, Jakob, das ganze Haus allein zurücklassen? Damit alles geplündert wird? Niemals!«
»Wie du willst! Aber ich wüsste nicht, was du sonst tun könntest!« Erschüttert sah Magdalena sie an. Dann besann sie sich darauf, weswegen sie überhaupt gekommen war. »Warte …«, sie zog das Amulett aus ihrer Tasche, »das wollte ich dir eigentlich schon die ganze Zeit zurückgeben. Lutz hatte es bei sich, als er …«, jetzt versagte auch ihr die Stimme und sie musste einen Augenblick innehalten, »in seinem letzten Moment.«
Hanna nahm das Amulett hastig an sich und küsste es mit tränenblinden Augen. Dann legte sie es sich um ihren Hals. »Ich werde es immer aufbewahren. Und ich danke dir – du bist sehr lieb zu mir! Das werde ich dir nie vergessen. Grüß alle, die mich kennen, von mir.«
»Versprich mir, dass du daran denkst – dass du zu mir kommst, wenn du in Schwierigkeiten bist!« Magdalena kamen die Worte wie von selbst über die Lippen, obwohl sie gar nicht wusste, wie es überhaupt möglich sein würde, Hanna und ihrer Familie zu helfen.
Hanna nickte mit einem schwachen Lächeln, bevor sie sich wieder zum Fenster wandte. »Adieu!«
Magdalena verließ bedrückt und mit langsamen Schritten das Zimmer. Die Leblosigkeit des Hauses, das Halbdunkel bei vorgezogenen Gardinen schien ihr plötzlich so unheimlich wie die Ruhe vor dem Sturm. Irgendetwas klapperte, als sie sich umwandte, sah sie einen kleinen, etwa fünfjährigen Jungen, der vor einem Kamin des Salons mit einer Spielzeuglokomotive spielte. Still hielt er ein, als sie vorbeiging, und sah sie aus großen dunklen Augen wortlos an. Das musste Jakob, Hannas jüngerer Bruder sein, von dem sie gesprochen hatte. Das arme Kind – welches Schicksal würde wohl auf ihn warten? Er schien zu spüren, dass etwas Unbegreifbares im Gange war, etwas Drohendes über allem lag, dem man sich nicht entziehen konnte. Magdalena versuchte ein Lächeln und ein Scherzwort, doch Jakob wandte sich mit ernster Miene ab und ließ seine Eisenbahn weiter hin und her fahren.
Als sie das Haus verließ und über die Straße ging, stand auf der anderen Seite plötzlich wieder der schlaksige Anton vor ihr und sah sie scheinbar verwundert an. »Das ist ja eine nette Überraschung«, sagte er gedehnt und grinste, »wir treffen uns bereits zum zweiten Mal... ganz zufällig! Was machst du denn hier?«
Magdalena war zusammengefahren, als er sie so unvermittelt ansprach, und versuchte, in seinen Knopfaugen unter dem straff zurückgebürsteten, aschblonden Haar irgendeine Absicht zu erkennen. Er versuchte ein einnehmendes Lächeln, das ihm aber misslang. Eine heftige Abneigung gegen ihn, sein knochiges Gesicht mit dem schmalen Mund, den er gerne zusammenpresste,um seine etwas schief geratenen Vorderzähne nicht sehen zu lassen, stieg in ihr auf.
»Ach Anton, du! Wohnst du hier?«, fragte sie und bemühte sich um eine freundliche Miene.
»Nicht direkt«, gab er mit besonderer Betonung zurück. »Hier wären mir zu viele Juden«, er streifte mit einem neidischen Blick die hübschen Villen und großzügigen Gärten. »Es störte mich, wenn ich jeden Tag in ihre dummen Gesichter sehen müsste! Die können sich natürlich mehr leisten als unsereiner. Aber das wird sich bald ändern, das garantiere ich dir.« Er verschwieg gerne, dass er eigentlich noch in einer engen, fast ärmlichen Mietwohnung mit seinen Eltern lebte. »Aber was machst du eigentlich hier?«
Magdalena
Weitere Kostenlose Bücher