Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
bisher immer ignoriert hatte, hatte sie sich jetzt doch schon bis Königsberg gewälzt! Es war ein Verbrechen, was an seinen Landsleuten geschah – und er konnte es nicht aufhalten, ihm nicht entgegentreten, ja nicht einmal mehr ausweichen!
Magdalena schob den leeren und altmodischen Kinderwagen noch ein Stück weit durch die Stadt und ließ ihn dann einfach in einer Toreinfahrt stehen. Sie schlenderte unschlüssig an dem ruhigen, sich in leichten Wellen kräuselnden Wasser der Pregels entlang und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie hatte es nicht eilig, Hanna beizubringen, dass es nicht gut um Jakob stand. Wie sah die Zukunft der beiden aus, die ja nicht unbegrenzt auf dem Dachboden der Villa bleiben konnten?
»Magdalena!« Die helle, fröhliche Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken. »Hier bist du also! Hab ich mir doch gedacht, dass du schwänzt, weil du es vorziehst, spazieren zu gehen!« Eine zierliche Blondine mit hochgesteckten lockigen Haaren und blitzblauen, neugierigen Augen nahm sie beim Arm. »Professor Gallep hat heute zu deinem Fehlen bemerkt, das Studium würde dich wohl nicht mehr so interessieren, weil du sicher bald heiraten möchtest.«
»Ach was, Marga«, Magdalena hatte sich überrascht umgewandt. »Der hat doch keine Ahnung!« Sie bemühte sich um ein Lächeln. »Nein, ich schwänze natürlich nicht – ich muss nur über etwas nachdenken – über eine besondere Entscheidung.« Einen Moment überlegte sie, ob sie Marga einweihen sollte. Franks Schwester war geradeheraus, ein patentes Mädel und eigentlich die verlässlichste Freundin, die sie in Königsberg hatte. Vielleicht konnte sie ihr die Last der Verantwortung ein wenig tragen helfen.
»So, so, eine Entscheidung …«
»Ja«, unterbrach Magdalena sie hastig, die es sich im selben Moment doch anders überlegt hatte. »Übrigens ist mir dein Bruder vorhin über den Weg gelaufen. Hat er dir schon gesagt, dass es heute ein Treffen im ›Kneiphof‹ gibt? Und dass wir als Vorsichtsmaßnahme die Ausgabe der Flugblätter vorläufig einstellen müssen?«
Marga schüttelte bedrückt den Kopf. »Nein, keine Ahnung. Aber ganz ehrlich gesagt: Ich bin froh darüber, denn ich wolltesowieso nicht mehr mitmachen. Wartet nicht auf mich – ich werde ganz aus unserem politischen Bund aussteigen. Eigentlich war ich nie so ganz von der Sache überzeugt – hab es mehr Frank zuliebe gemacht. Und wenn ich ehrlich bin: Ich finde es eigentlich gar nicht so schlecht, dass die Juden jetzt unser Land verlassen müssen! Sie nehmen uns doch bloß Arbeits- und Studienplätze weg … «
»Denkst du das wirklich? Diesen Unsinn will Hitler uns doch nur einreden!«, unterbrach Magdalena sie entsetzt. »Sie passen nur nicht in sein Bild von der Rasse der blonden Arier. Er will sie umbringen, um an ihr Vermögen zu gelangen.« Das Ungeheuerliche ging ihr so rasch über die Lippen, dass sie fast vor ihren eigenen Worten erschrak. Aber wenn sie an das Räumungskommando dachte, das alle Wertsachen der Kreuzbergers fortgetragen hatte, dann konnte es nur so und nicht anders sein. »Erinnerst du dich an Hanna? Man hat ihre Familie verschleppt und räumt gerade ihr Haus aus!«
Marga zuckte die Schultern. »Ach, du meinst wohl dieses hässliche, schmächtige Mädchen mit den krausen Haaren, die man schon lange nicht mehr in der Uni gesehen hat? Die immer so komisch, scheu und gedrückt wirkte? Eine Streberin – Außenseiter, ganz typisch. Die hat sich doch wunder was auf ihre Intelligenz eingebildet! Ihre Familie ist schwer reich, lebt im Luxus! Irgendwoher muss das doch kommen …«
»Wie kannst du so etwas sagen? Hannas Vater hatte das Kaufhaus in der Stadt – er war geschäftstüchtig … «
»Aber er musste es aufgeben. Wahrscheinlich hat er krumme Geschäfte gemacht. Er sitzt ja nicht umsonst in Quednau. Seinen Sohn hat man ja auch verhaftet. Papa hat davon gewusst und mir alles erklärt. Die Juden sind nie ehrlich, das weiß man doch. Sie sollen uns einfach in Ruhe lassen und weggehen! Denk doch nur mal an die Zigeuner, die hier immer herumlungerten! Das sind doch in Wahrheit Kriminelle. Seit sie fort sind, gibt eskaum mehr Einbrüche in der Stadt, und die Bettelei in den Straßen hat aufgehört!«
Sie redete sich jetzt völlig in Rage und Magdalena konnte den raschen Sinneswandel Margas immer noch nicht so recht begreifen. Sie versuchte es noch ein letztes Mal. »Aber würdest du nicht jemanden, den du sehr gut kennst und der in Gefahr wäre,
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