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Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)

Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)

Titel: Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Berger
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schien von der bedrohlichen Tiefe auszugehen, und um nicht vornüberzukippen, schloss er die Augen. »Hilf mir!«, stöhnte er auf, »lass mich nicht im Stich!«
    »Halt dich irgendwo fest!«, schrie Paul ihm zu, »sieh nicht nach unten!« Sollte er es wagen, Hans den Gürtel zuzuwerfen, versuchen, ihn damit auf die andere Seite ziehen? Aber würde ihn der Kamerad, falls er schwankte, dann nicht mit sich in die Tiefe reißen? Hans biss die Zähne zusammen und heftete seinen Blick ausschließlich auf die silbrig glänzende Felswand vor sich, an deren Schrunden und Vorsprüngen er sich einkrallte. Die starken Regenfälle in den letzten Wochen hatten jedoch den Boden aufgeweicht, die sandige Erde zwischen den Steinen teilweise weggeschwemmt, bevor der Wind sie wieder austrocknete. Er wusste, dass es nur eine Chance gab: Der beherzte Sprung über das Loch auf die andere Seite; selbst auf die Gefahr hin, dass durch den heftigen Druck das rissige Erdreich einbrach.
    »Du musst springen«, rief Paul dem Kameraden über das Geräusch der tosenden Wellen zu. »Zu mir – los, beeil dich!«
    Hans verharrte totenbleich, mit geschlossenen Augen, als habe er mit dem Leben abgeschlossen, und stieß hervor: »Ich kannnicht! Grüße meine Frau – meine Kinder! Sie sollen mich nicht vergessen …«
    »Spring!«, brüllte Paul ihn jetzt grob an. »Versuch es wenigstens! Soll ich deiner Frau und deinen Kindern erzählen, dass du ein Feigling bist? Ich zähle bis drei und dann los! Hier – meine Hand.« Er presste seinen Rücken fest gegen den von einem dornigen Klettergewächs überzogenen Überhang des Felsens hinter ihm und streckte den Arm aus.
    Hans blinzelte, der Schweiß rann ihm in großen Tropfen über die Stirn. In diesem Moment knallte ein Schuss durch das Tosen der Brandung, ein zweiter, und ein dritter fuhr mit pfeifendem Geräusch nah an den Köpfen der beiden vorbei und prallte am harten Felsgestein ab. Der Trupp russischer Soldaten aus dem Boot hatte die beiden in der Felswand erspäht. Hans war mit einem Schrei zusammengefahren und hatte gleichzeitig einen großen Satz nach vorne gemacht – direkt auf die andere Seite des Grats. Dort packte er Pauls Arm, der sich mit einem gewagten Klimmzug ein wenig weiter nach oben zog, bis sein suchender Fuß einen Spalt fand und er sich auf weiterführendem Gestein in Sicherheit bringen konnte. Hans atmete erleichtert auf, krallte sich in ein Büschel trockenen Gestrüpps an der scharfkantigen Felswand, ohne zu begreifen, wie er genau über das Loch gekommen war. Paul war ihm ein Stück voraus und setzte jetzt bedächtig wieder einen Fuß vor den anderen, ohne nach rechts, links und schon gar nicht nach unten zu sehen. Nach der vorangegangenen brenzligen Situation kletterte er nun mit viel größerer Sicherheit als zuvor – aber auch Hans hatte neuen Mut geschöpft.
    Die russischen Soldaten in der Bucht hatten sich nach einem kräftigen Maschinengewehrbeschuss unter einem Felsüberstand in Sicherheit gebracht und sich dann vorsichtshalber ganz verzogen.
    Doch ganz unvermittelt zeigte sich ein neues, noch ernsteresHindernis: Hinter einem Felsstück, mitten ins Gestein geschlagen, klaffte ein unüberwindbares Loch, vermutlich verursacht von einem Treffer aus einem Flugzeug. Geröll war gesplittert, ins Rutschen gekommen und hatte Unmengen von Steinen abgebrochen und ins Meer absinken lassen.
    Keuchend blieb Paul stehen. Unter den zackigen Felsen rauschte die blaue Flut mit weißen Schaumkronen. Was nun? Jetzt war alles aus. Zurück ging nicht, das würden sie nicht mehr schaffen. Die höher gewanderte Sonne flimmerte weiß und blendend und vor seinen Augen verschwammen die Konturen. Sollten sie nach all der Anstrengung hier verhungern, ins Meer stürzen, in die Felsen fallen, damit ihre Kadaver von der Sonne ausdörrten wie reife Pflaumen? Nie mehr die Heimat wiedersehen?
    Lieber Gott, lass es schnell gehen! Einfach vornüber fallen lassen, dann spürt man nicht viel. Magdalena, dachte er nur noch, Magdalena, bevor er langsam die Augen schloss.
    »He! Kameraden«, der raue Ton der Stimme riss ihn gerade noch rechtzeitig zurück, »hierher!« Als er aufsah, erkannte er etliche Meter über sich wie eine Fata Morgana schweißbedeckte, geschwärzte Gesichter unter vertrauten Stahlhelmen, Männer, die sich über die steile Wand beugten und mit einer Seilwinde hantierten.
    »Los, pack an!« Vor seinem Gesicht baumelte ein herabgelassener, fester Strick. Rettung in letzter Minute?

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