Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
liest.
Wirtschaftlich leiden wir keine Not; Louise hat gute Beziehungen zu den ehemaligen Kunden des großväterlichen Unternehmens, unter denen sich viele Bauern im Umfeld von Königsberg befinden, die uns treu mit guten Dingen wie Butter, Eiern und Fleisch beliefern. Manchmal zahlt sie auch mit Teilen unseres Silberbestecks – aber was macht das schon, wir haben ja so viele Garnituren! Aber was rede ich da – wie belanglos erscheint mir all das bei dem Gedanken, dass Du Tag für Tag Dein Leben aufs Spiel setzt. Wenn dieser Krieg nur endlich ein Ende fände! Dachten wir nicht einst, das alles wäre nur eine Sache von Monaten? Wie sehr sehne ich mich danach, Dich bei mir zu haben, Dich ganz fest zu umarmen und mich in Deinen Augen wiederzufinden! Habe ich Dir überhaupt schon gesagt, wie unendlich viel es mir bedeutet, Deine Zeilen in Händen zu halten? Ich kann sie gar nicht oft genug lesen und trage Deine Briefe tagelang an meiner Brust, bis sie ganz zerknittert sind.
Inzwischen gehe ich weiter zur Uni und lerne wie besessen, das lenkt mich von meinem Kummer ab. Aber auch dort weht der Geist des Nationalsozialismus, der mittlerweile einen solchen Zwang annimmt, dass keiner es wagt, sich ihm zu widersetzen. Vielleicht denkst Du anders darüber – aber ich empfinde den Druck, der eine freie Meinung nicht zulässt, wie einen Stein auf der Brust!
Wenn ich nur wüsste, wo Du jetzt bist, was Du tust und wie Du Dich fühlst! Ich bete jeden Tag für Dich! Möge Gott Dich schützen und bald heimkommen lassen! Ich umarme Dich mit meiner ganzen Kraft und Liebe meines Herzens, das nur für Dich schlägt und Dich so unsagbar vermisst! Auf immer und ewig. Deine Magdalena‹
Sie setzte den Schlusspunkt, faltete das Papier zusammen und wischte sich die Tränen aus den Augen. In letzter Zeit musste sie überhaupt ständig weinen, es war wie ein Ventil, um Trauer, Angst und Unsicherheit herauszulassen. Schließlich hatte sie niemanden, mit dem sie reden konnte, über Hanna, über Franks Verhaftung und über all das, was sie seit geraumer Zeit bedrückte.
Großmutter Louise war eine herzensgute Frau, aber auch eine wahre Dame und treue Schülerin preußischer Erziehung, die, geleitet von eiserner Selbstbeherrschung, unangenehme Dinge des Lebens einfach verdrängte. Weder die Trauer über den gefallenen Enkel Lutz noch der Gram über den Tod ihrer Tochter waren ihr äußerlich anzumerken, und nur ihre manchmal verdächtig geröteten Augen ließen vermuten, dass diese Schicksalsschläge nicht spurlos an ihrer Seele vorübergingen.
Seit der Beerdigung der Mutter fühlte sich Magdalena traurig, wie betäubt und erschüttert von der bedrohlichen Wendung, die ihr Leben anzunehmen schien. Alles um sie her schien zu bröckeln: Die Gruppe der Kommilitonen aus der Albertina war aus dumpfer Angst verstummt, seit man Frank verhaftet und Durchsuchungen nach Beweisstücken bei seinen Freunden angestellt hatte, denen zum Glück nichts Konkretes nachzuweisen war. Und Frank schwieg – bisher. Von den anderen hatte sie gehört, dass er und Marga unendlich lange Verhöre über sich ergehen lassen mussten und dass sein Vater aus der Quednauer Schreibstube entlassen worden sei. Auf sie war bisher noch niemand gekommen – doch sie zitterte allein bei dem Gedanken, dass irgendeine Spur zu ihr führen und man bei einer Hausdurchsuchung vielleicht auch Hannas Versteck entdecken würde. Sie zermarterte sich den Kopf, was zu tun wäre. Eines stand jedenfalls fest: Hanna musste fort – aber wohin?
Die Diffamierungen gegen die Juden nahmen unterdessen bizarre Formen an. Die Nachbarn wurden durch Plakate aufgefordert,wachsam zu sein und Meldung zu machen, falls sie etwas Verdächtiges bemerkten. Die Gerüchte verdichteten sich, dass die Königsberger Juden in einem Konzentrationslager bei Minsk getötet worden seien, aber Magdalena hütete sich, der ohnehin verzweifelten Hanna davon zu erzählen; sie ließ ihr die Hoffnung, dass sich ihre Eltern in einem Sammellager vor der Stadt befänden.
Immer in der Nacht, sobald alles im Haus schlief, befreite sie Hanna aus ihrem Versteck, schloss sie erst im Bad ein und ließ sie dann eine Weile im Garten Luft schnappen.
Auch an diesem Abend, an dem es stockdunkel war, weil der Mond sich hinter Wolken verbarg, gingen sie flüsternd zusammen im wild überwachsenen Laubengang des Gartens auf und ab, für dessen Pflege man früher zwei Gärtner gebraucht hatte und den heute nur noch eine Putzhilfe, so gut es
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