Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Nachbarin hinüber, und es kam ihr so vor, als habe sich oben die Gardine leicht bewegt. »Du musst jetzt vernünftig sein! Wenn dich jemand erkennt, wird man dich fortbringen, und dann steht dir dasselbe Schicksal wie deiner Familie bevor. Und man wird auch mich verhaften! Ich verspreche dir, dass ich morgen ganz bestimmt zu Doktor Friedländer gehe und mich nach Jakob erkundige …«
Hanna schien im Mondlicht so bleich wie der Tod. »Was?Heißt das, du hast noch gar nicht nach ihm gefragt? Du hast mir doch gesagt, es ginge ihm gut – er hat alles bestens überstanden … «
Magdalena zögerte. »Mach keinen Lärm. Du weckst ja die ganze Nachbarschaft auf. Wenn du jetzt durchdrehst, war alles umsonst!« Im Fenster von Frau Schmitz war jetzt ein kleiner Lichtschimmer, wie der winzige Schein einer Kerze, zu erkennen. »Warte wenigstens bis morgen. Dann geh ich gleich ins Hospital – ich verspreche es dir!«
Hanna sank in sich zusammen. Dann nickte sie. Fast apathisch, teilnahmslos ließ sie sich von Magdalena ins Haus ziehen und stieg gehorsam wieder auf den Dachboden, wo sie sich auf ihrem Lager zusammenrollte und den Kopf wegdrehte, ohne ihr gute Nacht zu wünschen.
Mit einem schlechten Gewissen, weil sie sich bis jetzt nicht getraut hatte, Dr. Friedländer aufzusuchen und sich nach Jakob zu erkundigen, ging Magdalena zu Bett. Im »Volksblatt« war heute ein Foto des Kinderkrankenhauses zu sehen gewesen, auf dessen Fassade jemand mit Farbe »Jude raus« geschmiert hatte! Der angesehene Arzt wurde in letzter Zeit oft angegriffen, und da man ihn immer stärker ins Visier nahm, schien es zweifelhaft, ob er überhaupt noch länger in Königsberg blieb. Wahrscheinlich schonte man ihn nur deswegen, weil man ihn noch brauchte und er so vielen Kindern das Leben gerettet hatte. Immerhin sah man an seinem Beispiel, dass es den Nationalsozialisten trotz aller Hetzparolen und Verhaftungen noch nicht ganz gelungen war, alle angesehenen jüdischen Mitbürger Königsbergs zu verdrängen! Bedenklich waren nur die öffentlichen Kommentare, die immer hämischer und beleidigender wurden und Juden geradezu zu Monstern degradierten!
Am nächsten Tag machte sie sich schweren Herzens gleich nach den Vorlesungen zum Kinderkrankenhaus auf. Sie hatte ein banges Gefühl und ihr Herz klopfte unruhig. Was würde derArzt sagen? Dr. Friedländer sah ihr tatsächlich mit einem Ausdruck entgegen, der nichts Gutes verhieß. »Dass Sie noch einmal zu mir kommen, hätte ich wirklich nicht mehr gedacht!«, begrüßte er sie mit ernster, aber vorwurfsvoller Miene.
»Ich konnte leider nicht eher. Wie … wie geht es Jakob ?«, stotterte Magdalena, doch der Arzt antwortete nicht gleich. Nach einer stummen Pause, in der er die Blätter auf seinem Schreibtisch durchsah, begann er schließlich: »Sie fragen reichlich spät nach ihm. Er hat es leider nicht geschafft... noch in der Nacht, in der sie ihn brachten, ist er verstorben. Ein Kreislaufkollaps – er war ja völlig ausgetrocknet und hätte bei dem hohen Fieber mehr trinken müssen! Ich konnte Sie nicht benachrichtigen, weil Sie mir Ihren Namen nicht hinterlassen haben. Wir haben ihn in einem anonymen Grab bestattet. Sie … Sie sagten, er wäre der Bruder einer jüdischen Freundin?«
»Ja«, sie sah unschlüssig auf ihre Hände, und versuchte die Tränen zurückzuhalten, »man hat die Familie von Hanna und Jakob in ein Lager gebracht und sie dann ermordet!«
Der Arzt seufzte resigniert und sah auf die Papiere vor ihm: »Ich habe davon gehört, dass man deportierte Juden erschießt – und ich wollte es nicht glauben. Bis ich mich selbst davon überzeugt habe!«
»Warum tut man das?« Magdalena sah ihn verstört an. »Diese Menschen sind doch unschuldig! Man kann doch nicht...«
»Doch, man kann, liebes Kind!«, antwortete der Arzt gefasst. »Und ich befürchte, dass auch mir ein solches Schicksal bald bevorsteht. Es hat sich nur ein wenig herausgezögert, weil man mich in dieser Abteilung so dringend braucht! Und, um ehrlich zu sein, ich konnte es bisher nicht übers Herz bringen, das Hospital zu verlassen. Wenn ich das tue, wird alles hier zusammenbrechen …« Er machte eine umfassende Handbewegung und seufzte erneut tief auf. »Das hier ist mein Lebenswerk! Dafür habe ich Jahrzehnte gearbeitet. Das kann man nicht so einfachim Stich lassen. Verstehen Sie?« Er sah sie fragend an. »Aber ich bin alt und habe gut gelebt. Wenn man mich erschießen will, soll man es tun. Ich
Weitere Kostenlose Bücher