Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Männer grinsten, ließen ihn das Gewehr halten und führten ihn dann ebenfalls zum Auto, wo er neben seiner Großmutter Platz nahm. Der Motor heulte auf, und der Wagen brauste davon, während Magdalena halb ohnmächtig gegen die Tränen kämpfte.
Was hätte sie tun können? Etwa den Bruder mit Gewalt von den SS-Leuten wegzerren? Sie versuchte, sich zu beruhigen: Vielleicht geschah ihnen ja gar nichts, sollten sie nur ins Kommissariat gebracht und befragt werden! Sie sah zu den beiden Polizisten hinüber, die als Wache am Eingang stehen blieben. Dann ließ sie die Zweige los, die zusammenschnellten und ihr schmerzhaft ins Gesicht schlugen. Ein stummes, hilfloses Schluchzen erschütterte ihren Körper, und sie presste die Stirn gegen die kühle Erde.
Doch dann fuhr ihr der Gedanke an Gertraud wie ein Schock durch die Glieder. Auch sie konnte jetzt jeden Moment aus der Schule kommen! Und sie hatte Hanna gesehen! Wenn sie nun etwas ausplauderte – nicht auszudenken! Allein die Vorstellung ließ Magdalenas Herz heftig hämmern. Sie kroch aus den Büschen bis an den Straßenrand und drückte sich von Alleebaum zu Alleebaum. Die dicke Frau Schmitz war vom Fenster verschwunden. Sie hatte wohl genug gesehen.
Sie lief den ganzen Weg zu Gertrauds Schule, um rechtzeitig dort zu sein, und erst, als sie nach Atem ringen musste und Seitenstechen bekam, wurde sie ein wenig langsamer. Die Schwester sah sie befremdet an, als sie mit ihrer Mappe aus dem Gebäude trat. Magdalena verlor keine Zeit und erzählte ihr mit abgerissenen Sätzen, was passiert war.
»Komm mit mir! Sie haben dich bestimmt schon gesucht!«, beschwor sie sie abschließend.
»Mich gesucht?«, fauchte sie empört. »Du bist doch schuld, hast uns alle mit diesem Blödsinn ins Unglück gestürzt! Und mir meine Zukunft vermasselt! Du Judenfreundin – ich habe gesehen, wo du Hanna versteckt hast! Und jetzt auch noch die Geschichte mit den verbotenen Flugblättern!« Ihre Stimme war schrill geworden, sie brach in Tränen aus und stieß Magdalena von sich, die sie trösten wollte. »Geh weg. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben! Gottfried!«, schluchzte sie. »Was wird er zu so einem Skandal in unserer Familie sagen? Er ist völlig kompromittiert mit einem Mädchen wie mir!«
Magdalena stöhnte leise auf. Offenbar war in diesem Augenblick das Einzige, was Gertraud Sorge machte, nur, was Gottfried von ihr dachte! Als sie ihr den Arm um die Schulter legen wollte, fuhr sie wie eine Furie auf. »Fass mich nicht an!« Ihre Lippen waren nur noch ein kleiner Strich und in ihren Augen lag ein böses Funkeln. »Ich hasse dich! Ihr könnt mir alle gestohlen bleiben, du und überhaupt die ganze Familie! Ich gehe fort, zu ihm – und wenn ich ihn auf Knien anflehen muss, mir zu helfen! Und jetzt verschwinde endlich!«, schrie sie Magdalena beinahe hysterisch an.
Magdalena taumelte zurück. War diese kaltherzige Person, die nur an sich selbst dachte, wirklich ihre kleine Schwester Gertraud?
»Geh! Lass mich endlich allein!«
»Aber Gertraud, tu nichts Unüberlegtes …«, es war noch ein letzter Versuch, doch die Schwester kehrte ihr den Rücken. Von einigen Schülern bereits neugierig beobachtet, wandte sie sich schließlich mit einem bitteren Gefühl im Herzen ab, um kein Aufsehen zu erregen.
Anton Schäfer fiel ihr ein. Er war vielleicht der Einzige, der etwas für sie tun konnte – zumindest konnte er dafür sorgen, dassLouise und Paul nichts geschah und sie vielleicht gleich freigelassen würden! Schließlich hatte er gewissen Einfluss, er prüfte ja alle Fälle und Denunziationen und hatte außerdem gute Verbindungen zur Obrigkeit, namentlich zum Gauleiter Koch.
Sie wartete in dem muffigen Vorzimmer des Kommissariats mit zwei anderen Besuchern bis zum späten Nachmittag, bis Anton endlich mit wichtiger Miene und einem Stapel Akten unter dem Arm erschien. »Aber Magdalena, du hier? Ist etwas geschehen?«, begrüßte er sie erstaunt. Er bat sie in sein schlichtes Arbeitszimmer und hörte sich ihre atemlos vorgetragene Beichte nahezu reglos an, sie mit seinen etwas hervortretenden, ausdruckslosen grünen Augen unablässig musternd. Er schien kurz nachzudenken, dann stand er auf, eilte beflissen auf sie zu und ergriff scheinbar bewegt ihre Hände. Es wäre ja schrecklich, was sie ihm da erzähle! Er sah sich um, als sei noch jemand im Raum und senkte seine Stimme zu einem halben Flüstern. Sie müsse verstehen – aber die Wände hätten ja hier Ohren und
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