Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
sie elektrisiert. Während seiner Unpässlichkeit am Vortag war sie eigenmächtig nach Berlin gefahren und bei der Witwe Stolzenhagen vorstellig geworden, welchegerade die Wohnung für die neuen Mieter putzte und dabei das unterste zuoberst kehrte. Die schönen Möbel waren bis in die letzte Lade ausgeräumt, die kleinste Kammer rein bis auf das lackierte Holz des Parketts. Jubelnd vor Freude war Marie zurückgekehrt und dem Vater um den Hals gefallen.
Auf der taunassen Waldwiese vor der Bergischen Eiche schwebte eine geisterhafte Gestalt durch den Frühnebel. Eine immaterielle Decke hatte sie ins Gras gebreitet und machte sich nun daran, einen achtbaren unsichtbaren Rehbraten zu tranchieren, der einem imaginären Weidenkorbe entstiegen war. Drei Gläser der durchsichtigsten Art wurden auf den unebenen Grund gesetzt, wo sie sich sogleich mit der Vorstellung von edlem Tokayer füllten. Sr. Königlichen Majestät Kammerdiener, Friedrich Ludwig Andersohn, umtänzelte den König und dessen Gast, den Baron von Schlütern, die hier zu ungewöhnlicher Stunde ihr wundersames Frühstück einnahmen.
»Noch Wein, Sire?«
»Aber gern. Nehmt ihr noch Braten?«
Andersohn legte munter vor. Die ansonsten höchst ungleichen Gäste glichen sich doch in ihrem Appetit. Sie ließen eifrig ihre Gläser klingen, sprachen dem Braten zu und waren schier nicht zu sättigen. Flaschen hatten entkorkt und neue Braten tranchiert zu werden, um die Herrschaften zufriedenzustellen. Hinten fuhren schon Wagen auf, die Nachschub brachten.
»So sind wir uns denn einig, Sire?«
»Aber unbedingt!«
Andersohns Behändigkeit nahm nur noch zu. Er drehte sich, flog, wirbelte um die beiden Sitzenden herum, goss nach, schnitt ab, legte vor.
»Wollt ihr nicht bei uns Platz nehmen, Andersohn?«, fragte von Schlütern.
»Ja wirklich, bester Andersohn, es dünkt mich gleichfalls, dass Ihr schon viel zu lange stehet. Kommt setzt Euch, greift zu und lasst es Euch schmecken!«, sagte der König.
Andersohn, zwar überglücklich, wollte diese Erhebung – die kurioserweise durch Niedersitzen erfolgen sollte –, aber nicht sofort zugeben, sondern ließ sich ausgiebigst bitten, um nur jede Nuance dieses freudigen Ereignisses recht tief auszukosten.
»So lasse er sich doch herab zu uns!«
»Düpiere er uns nicht, Monsieur Andersohn.«
»Nur frisch herzu!«
»Nur nicht gescheut!«
Andersohn wirbelte derweil und wirbelte um die beiden Sitzenden, um die Eiche, in immer weiteren Kreisen, bis er erschöpft ins nasse Gras fiel.
Als er nach Minuten der Bewusstlosigkeit vorsichtig aufblickte, war nichts mehr von den Noblen zu sehen. Fort die Decke, fort der Braten; keine Kutschen, die Nachschub brachten, keine Weingläser, die lustig funkelten. Es war wie immer. Sie hatten sich nicht zum Bleiben bewegen lassen. Wenn nur der bohrende Schmerz verginge, ihn nur für Sekunden entließe – er würde sie festhalten, sich besser konzentrieren, ihre Zuneigung dauerhaft erlangen und triumphalen Einzug halten in ihren Herzen. Vergessen die Jahre der Gefangenschaft, verziehen all die ihm angetane Schmach. Was war das aber auch nur für eine Eitelkeit mit ihm? Wieso ließ er sich von ihnen bitten? Das bräuchte nicht zu sein …
Er stand auf, drehte sich wieder ein bisschen, die Arme weit ausgestreckt wie Flügel, lehmverschmiert die Schuhe, schmutzig braun die Livree. Dann fiel er ins Gras, lag lange reglos. Ein Bussard kreiste über ihm, kam tiefer, wurde nicht schlau aus dem Kadaver. Eine Amsel dagegen pickte ihm unbeeindruckt ins Ohr, wo sie einen Wurm vermutete. Der jedoch saß in seinem Kopf, regte sich nochmals träge, trieb ihn wieder hoch und hieß ihn fortlaufen. Sein Kopf war jetzt ganz leer bis auf jenen bohrenden Schmerz.
Ziellos wanderte sein Blick. Es ging wohl auf die Mittagsstunde. Eine Kutsche fuhr nahe vorbei. Die Leute sahen die irrende Gestalt über die Chaussee laufen und wieder im Unterholz verschwinden, ein Waldphantom, ein Kobold. Die Spaziergänger schauderten.
VIII
Langustier und seine Untergebenen schwitzten Blut und Wasser, denn der kommende Tag warf rabenschwarze Schatten voraus. Neben der täglichen Kocherei für den Charlottenburger Bautrupp waren diffizilste Pflichtaufgaben für den Festabend im Park von Schloss Monbijou zu lösen.
Sehr zum Leidwesen ihrer vereinigten Köche gefiel es der Königinmutter, die Gäste mit unzeitgemäßen Schaugerichten zu ergötzen, die eigentlich ins sechzehnte Jahrhundert gehörten, wie Langustier befand.
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