Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
aus seiner Umgebung und setzte es in eine bereitstehende Schüssel. Er wischte sich die blutigen Spuren der feuchten Extraktion an der blauen Schürze ab, was dieser dunkelbraune, fast schwarze Striemen verlieh. Einige zielsichere Schnitte zerteilten das unförmige Organ. Eller kam schnell zu seinem Schluss, demzufolge doch eine Besonderheit vorlag, die ihm die Leiche schmackhaft machen konnte:
»Interessanterweise erlitt das bedauernswerte Opfer im Moment des Todesstichs eine ischämische Nekrose. Aufgrund der plötzlichen Aufregung starb ihm der Herzmuskel noch vor dem eigentlichen Eintritt des Todes ab.«
Er zeigte auf einige verhärtete, wie ausgetrocknet wirkende Partien des zusammengefallenen Fleischbrockens, die Langustier, wie er bei sich überlegte, bei einem Kalbsherzen vor der Zubereitung wohl herausschneiden würde.
»Unmöglich aber, dass er überhaupt eine Chance gehabt hätte, den Angriff zu überleben. Die Blutung wäre nicht zu stillen gewesen. Er muss gesprudelt haben wie ein Springbrunnen. Mag aber sein, dass der Täter ihn allein durch sein riesenhaftes Äußeres zu Todegeängstigt hat, denn nur ein sehr großer Mann kann einen Stich dieser Art in dieser Höhe beherzt genug anbringen.«
Langustier zeigte Eller zum Abschluss den Fetzen blauen Tuchs, den er gefunden und von Jordan zurückerhalten hatte. Offenbar stammte er von der Kleidung eines Mannes, der die Mauer an dieser Stelle des Arkadenganges ziemlich hart gestreift oder sich an sie hingepresst hatte.
»Königsblau«, beschied ihn Eller.
Er drehte den Fetzen gegen das Licht einer Ölfunzel.
»Diesbach, ein Kollege meines Vaters, hat dieses künstliche Blau erfunden. Es ist der erste synthetische Farbstoff – Eisenchlorid vermischt mit gelbem Blutlaugensalz und in Wasser gelöst. Wenn das von unserem Herzstecher stammt, dann trägt er eine –«
(er besah den Fetzen nochmals eingehend, bevor er ihn Langustier zurückgab)
»– jetzt reichlich ramponierte Uniformjacke. Ihr solltet bei allen Armeeschneidern nach einem langen Kerl Ausschau halten, der sich eine neue Jacke anmessen lässt.«
Eller spülte das Herz für die spätere Präparation in einem Eimer mit kaltem Wasser aus, das sich sofort blutrot färbte. Der Anblick des entherzten Leichnams in der unterirdischen Totenkammer stand zu seiner aufgeräumten Laune in einem eklatanten Kontrast. Der Mediziner führte Langustier in seine Studierkammer, nicht ohne auf dem Weg dorthin den sich in Seitengängen herumdrückenden Jordan aufzulesen.
»Übrigens ist der entsprungene Andersohn im Tiergarten gesehen worden. Ein Jäger störte ihn bei einem kuriosen Veitstanz, konnte ihn aber nicht stellen und festhalten. Eine vorbeifahrende Dame wurde beim Anblick des Flüchtenden halb ohnmächtig.«
Wenn Jordan über eines Gewissheit zu besitzen glaubte, dann darüber, dass ihn in der nächsten Zeit keine zehn Pferde wieder in diese düsteren Mauern bringen würden. Er beruhigte sich mit dem Gedanken an stille, hohe Bibliotheksregale, lederne Buchrücken,an Gold- und Silberschnitte, an das Knistern von bedrucktem Papier und an das sanfte Gleiten des zuvor in ein Glas mit Tinte eingetauchten Gänsekieles.
Viel lieber wäre der Zweite Hofküchenmeister zu seiner Tochter Marie in die neue Berliner Stadtwohnung gefahren, aber seine Dienstpflichten ließen es nicht zu. Er hatte in wenigen Stunden bereits wieder taufrisch zu sein, so schwer es auch fiel. Die auf dem Wasserwege von Monbijou nach Charlottenburg zurückgebrachten Gerätschaften waren zu inspizieren, die dortigen Bauleute zu bekochen und überdies mit dem Hofgärtner Krause in einer kulinarischen Haupt- und Staatsangelegenheit zu verhandeln, die keinen weiteren Aufschub duldete. Der Mann hatte sich ihm schon seit Tagen vergeblich zu nähern versucht und sollte endlich seinen Willen bekommen.
In dem einsam gelegenen Haus vor dem Frankfurter Tor wollte in der ersten Montagsstunde keine Ruhe einkehren. Die Übernachtungsgäste im ›Schlösschen‹, drei Kutscher und ein Marktreisender, zitterten in ihren Betten. Über ihnen, irgendwo im verzweigten Gestühl des ausladenden Daches, war in dieser mondhellen Nacht der Teufel los. Es schepperte, wieherte, stampfte, knallte, rasselte, dass man das kalte Grausen bekommen konnte. Ganze Horden von Klopfgeistern tobten droben im Gebälk, wo doch nur Staub und Spinnenweben zu sein hatten. Oder war es gar Wotans »Wilde Jagd«, die auf dem Weg nach Norden hier ein entfesseltes Herbstgelage
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