Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
Kerls‹ den Werbern des Soldatenkönigs ins Netz gegangen. Er hatte sich jedoch mit seinem Schicksal angefreundet und relativ schöne, ruhigeJahre unter seinesgleichen verlebt. Was hatte er schon groß tun müssen, um verpflegt zu werden und seinem König gefällig zu sein? Einen langen Lulatsch in Uniform vorstellen, ein bisschen paradieren, das Gewehr präsentieren und sich hin und wieder einmal mit dem Knüppel traktieren lassen, ohne zu maulen. Manchem seiner Kumpane war dieses Dasein saurer angekommen. Viele hatten den Wall vergeblich zu überwinden gesucht und waren für diese gescheiterten Fluchtversuche schrecklich bestraft worden. Zahllose Runden durch die Gassen der spießrutenbewehrten Kameraden wurden sie geprügelt, bis ihr Rücken am Ende wie Frikassée aussah. Unabhängig davon, ob sie vorher gute Bekannte von ihm gewesen waren, hatte ihre Bestrafung dem Grenadier als eine heilige Pflicht gegolten, die sein König von ihm verlangte. Es war ihm eine tiefe Befriedigung gewesen, die Abtrünnigen mit unmenschlichen Rutenstreichen zu quälen. Einige hatte er nach diesen Bestrafungen nicht mehr wiedergesehen, andere erst nach etlichen Wochen, kleinlaut trotz ihrer Größe, leise wimmernd vor Schmerz, wenngleich wie er mit Riesenkräften begabt.
Doch dann war der dicke Wilhelm plötzlich mausetot gewesen und als der junge König Friedrich daraufhin die ›Langen Kerls‹ in alle Winde zerstreut hatte – die Jüngsten und Wendigsten waren auf die anderen Regimenter verteilt worden, die Älteren gänzlich verabschiedet –, hatte der Grenadier aufgrund seines Alters und seiner natürlichen Dumpfheit den Kürzeren gezogen. Seine Uniformjacke war ihm als einziges Erinnerungsstück geblieben, bis er sie nun hatte flüchtend zurücklassen müssen. Der Marder ersetzte ihm die Armee, die Kommandos. Er brauchte die Anleitung eines anderen, um seine noch immer vorhandenen Bärenkräfte sinnvoll und ohne Furcht einsetzen zu können. Dem Marder diente er daher so treu wie er zuvor nur seinem König gedient hatte.
Willenlos, wie ein Zugstier, stapfte der Grenadier mit seiner Last voran. Ein grauer Berliner, eine Reisetasche, enthielt jenen Teil des ergaunerten Goldschatzes, den der Marder verstecken wollte, bisGras über die Sache gewachsen war. Vor anderthalb Tagen hatten sie sich auf unwegsamsten Pfaden in östlicher Richtung aus der Hauptstadt davongestohlen.
Innerlich ließen sie die Stationen ihrer Flucht Revue passieren: Wie sie mit den Pferden zu dem Durchschlupf in der Mauer gelangt waren, die an dieser Stelle hinter der Stralauer Vorstadt nur eine kümmerlich hölzerne Palisade war. Über die Stoppelfelder und gemähten Wiesen hatten sie unbeobachtet das ›Schlösschen‹ erreicht und von der Rückseite her betreten. Auf den obersten Oberboden waren sie hinaufgekrochen, wo ihnen der geldgierige Wirt ein notdürftiges Quartier hergerichtet hatte. Ein wenig zu ausgelassen waren sie da in ihrem Siegestaumel wohl gewesen, denn der Hausherr hatte ihnen vor lauter Muffensausen Stille geboten. Am Morgen darauf waren sie haarscharf der Festnahme entgangen.
Fast ununterbrochen waren sie seitdem auf den Beinen gewesen, hatten in einem gestohlenen Ruderboot Kurs auf Cöpenick genommen, wo sie schließlich anlandeten und in den dunklen Wälder verschwanden. Sie schlichen über die weichen, mit Eichen, Fichten und mannshohem Farnkraut bestandenen Kuppen der Müggelberge und nächtigten in einer fast ganz im Waldsand verborgenen Hütte. Zinken, die Zeichen der Fahrenden an den Bäumen, verrieten ihnen mehrfach, wo mit Polizisten oder sonstigen Unbilden zu rechnen oder wo freier Durchmarsch war. Das eigentliche Ziel ihres Weges lag jedoch nahe der kleinen Ortschaft Rüdersdorf, dem Geburtsort des Marders. Zwischen dem so genannten Kalksee und der Chaussee nach Münchberg stieg die Landschaft zu einer kleinen Hochfläche mit einzelnen Hügeln und steilen Flanken an. Sie waren dem Dorf unmittelbar nahe gekommen und sondierten nun ebenso vorsichtig wie erschöpft die Lage.
Unmittelbar vor den Kalkbergen verlief ein angenehmes, grünes Tal, von einem kleinen Wasser durchflossen, an dem Eichen und Erlen standen. Eine lange Reihe Häuser zog sich am Fuß des Gebirgeshin, in denen die Kalksteinbrecher und Kalkbrenner sowie die Fuhrleute und Schiffer wohnten, die den Kalk täglich nach Berlin transportierten. Ein von Kiefern und Birken flankierter steiler Weg führte auf den Berg hinauf. Da es schon fast dämmerig war und keine
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