Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
tausend Fragen in mir brannten, bekam ich nicht mehr heraus.
„Ich weiß, Selma. Du darfst nicht denken, dass ich nicht sehe, was in dir vorgeht. Deine Wut ist groß und das zu Recht, aber du darfst nicht glauben, dass ich dich hier aus reiner Willkür einsperre. Es geschieht allein zu deinem Schutz. Bisher habe ich es vermieden, dir einige Dinge in größerer Deutlichkeit zu sagen, aber nach dem heutigen Tag muss es sein, auch wenn ich gegen die Regeln verstoße.“ Sie rieb sich müde mit einer Hand über die geschlossenen Augen. Welche Regeln? Ich hielt vor Spannung die Luft an. Sollte es jetzt tatsächlich Antworten geben? Ich wartete gespannt, meine Großmutter überlegte sehr lange, bis sie die passenden Worte fand.
„Es gibt zwischen Himmel und Erde Gefahren, die du noch nicht kennst. Ich habe versucht, sie von dir fernzuhalten und zwar, ohne dich mit dem Wissen um ihre Existenz zu ängstigen.“ Sie sprach leise und konzentriert, während sie mich ernst ansah. „Nun muss ich mir aber eingestehen, dass du kein kleines Mädchen mehr bist. Du bist zu einer erwachsenen Frau gereift, in der noch die Übermut der Jugend steckt und du musst diese Gefahren kennenlernen, da ich dich nicht mehr rund um die Uhr schützen kann.“ Sie nickte mir aufmunternd zu, was ich als Zeichen verstand, dass ich endlich meine Fragen loswerden durfte.
„Was waren das für Vögel, die die Torrels vertrieben haben?“ Ich beeilte mich das Erste zu fragen, dass mir in den Sinn kam.
„Die Geschöpfe, vor denen Ramon und Lennox dich heute gerettet haben, sind von böser Natur. Sie bedrohen seit vielen Jahren unsere Sicherheit und rauben Mädchen und junge Frauen. Wir wissen nicht, in wessen Auftrag sie handeln. Was wir jedoch sicher wissen ist, dass keines der Mädchen je wieder aufgetaucht ist. Weder lebend noch tot. Die Wesen sind stark und kennen kein Erbarmen.“ Die Stille, die den Worten meiner Großmutter folgte, erschlug mich fast.
„Und sie wollen mich?“, flüsterte ich schwach.
„Ja. Das ist der Grund, weswegen ich dich beschütze, weil ich dich liebe und dich nicht verlieren möchte.“
„Wie lange geht das schon so?“, fragte ich, doch mehr als ein Flüstern kam nicht über meine Lippen. Die Gefahr, in der ich heute geschwebt hatte, wurde mir mit erschreckender Klarheit bewusst.
„Seit etwa zwanzig Jahren. Es wurden mittlerweile Tausende entführt und obwohl wir in den letzten Jahren die Sicherheitsmaßnahmen verzehnfacht haben und keine junge Frau mehr allein unterwegs sein darf, geschieht es immer wieder.“
„Was hat Ramon heute mit mir gemacht?“ Meine Großmutter lächelte bei meinen Worten.
„Er hat versucht, dich in eine Art Tagschlaf zu versetzen. Du solltest nach zehn Minuten wieder aufwachen und zwar, ohne dass du dich an die vorhergehenden Geschehnisse erinnern kannst. Das ist eine der Schutzvorschriften für Mädchen unter achtzehn Jahren. Trotz der bestehenden Gefahr wollen wir nicht, dass die Mädchen in dauernder Angst leben. Daher werden sie bei Vorfällen dieser Art in Trance versetzt. Leider hat es bei dir nicht funktioniert, du hast dich zu stark gewehrt.“ Nachdenklich strich sie sich durch die Haare. Eine Flut von Fragen rauschte durch meinen Kopf, doch noch bevor ich die nächste stellen konnte, klingelte das Telefon und meine Großmutter nahm den Hörer ab. Grußlos lauschte sie eine Weile, als wenn sie den Anruf bereits erwartet hätte.
„Ja, ich komme sofort. Natürlich musste ich sie in einiges einweihen zu ihrer eigenen Sicherheit und ja, ich übernehme die Verantwortung gegenüber dem Senator. Nein, in dieser speziellen Situation gab es keine Alternative und wegen der zwei Monate Zeitüberschreitung wird es wohl keine Probleme geben. Ich darf sie wohl daran erinnern, aus welcher Blutlinie sie stammt. Eigentlich hätte ich eine Sondergenehmigung beantragen können. Ja, ich mache mich jetzt auf den Weg. Auf Wiederhören.“ Mit einem missmutigen Laut legte meine Großmutter den Hörer auf die Gabel. Obwohl es inzwischen tolle schnurlose Geräte gab, hatte sie sich bis heute nicht von ihrem geliebten Telefongerät aus der Steinzeit der technischen Entwicklung trennen können. Ich sah meine Großmutter fragend an.
„Ich muss noch einmal los. Der Bürgermeister hat eine außerordentliche Zusammenkunft der Stadträte einberufen. Einen Angriff so nah an Schönefelde hat es schon seit langem nicht mehr gegeben. Sehr ungewöhnlich. Wir müssen dringend über eine weitere
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