Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
Verschärfung der Schutzmaßnahmen beraten.“ Ich wusste, dass meine Großmutter ehrenamtlich als Stadträtin arbeitete, aber bisher hatte ich angenommen, dass die höchste Spannungsstufe dieser Zusammenkünfte erreicht war, wenn sich die Diskussion um die Farbauswahl der Transparente für das jährliche Stadtfest drehte.
Mich durchfuhr es heiß. Wie hatte ich nur so blind sein können, die ganze Zeit war ich von der Wahrheit umgeben, aber ich hatte sie nicht gesehen. Die Maskerade als harmlose Kleinstadt war immer nur eine Tarnung gewesen. Die Menge meiner unbeantworteten Fragen hatte sich während des Telefongespräches meiner Großmutter sofort verdoppelt. Das war das erste Mal, dass ich Antworten erhielt und gerade jetzt musste meine Großmutter das Haus verlassen.
„Warte!“, versuchte ich sie aufzuhalten. Vor lauter Aufregung hatte ich rote Flecken auf den Wangen. Ich spürte, wie sich die Wärme in meinem Gesicht ausbreitete. Schnell suchte ich die dringendste Frage, die mir einfiel.
„Wer sind wir?“ Ich sah meine Großmutter an, die sich inzwischen von ihrem Sessel erhoben hatte und ihr Kleid glättete. Sie blickte mir tief in die Augen und seufzte.
„Es führt jetzt zu weit, diese Frage zu beantworten. Ich habe dir das Nötigste erzählt. Das Wichtigste ist, dass du weißt, dass außerhalb der Stadtgrenze eine ernste Gefahr lauert und dass du dich nur innerhalb dieses Kreises aufhalten darfst. Mehr Fragen kann und darf ich dir im Moment nicht beantworten. Ich weiß, dass es für dich jetzt umso schwerer wird, bis zu deinem Geburtstag zu warten, aber wenn ich noch mehr verrate, handle ich mir ernsten Ärger ein.“ Sie nahm meine Hand und sah mich an. „Bitte, respektiere das! Ich muss los. Die Stadträte warten. Geh schon ins Bett, bei mir wird es spät werden.“ Sie gab mir zum Abschied einen Kuss und verließ den Raum, ließ mich zurück mit dem Durcheinander in meinem Kopf und in meinem Herz. Ich setzte mich auf einen der korbbespannten Stühle in der Küche und starrte durch die großen Fenster in den Garten, der mittlerweile in völliger Dunkelheit lag. Nur über den Wipfeln der Apfelbäume schimmerte ein Rest Licht. Ich versuchte mühsam meine Gedanken zu ordnen. Ich wurde nicht eingesperrt, sondern beschützt. Bei dem Gedanken an diese Gefahr überlief mich erneut eine Gänsehaut. Doch wovor genau musste ich beschützt werden, was waren das für Wesen?
Die Ereignisse fühlten sich an wie ein verrückter Film. Ein leises Klingeln drängelte sich in mein Bewusstsein. Das war Liana, die die Glocke neben meinem Zimmerfenster geläutet hatte. Sofort sprang ich auf und stürzte in den großen Flur. Noch während ich die letzten Meter zu meinem Zimmer durchmaß, durchzuckte mich die Erkenntnis, dass Liana über alles Bescheid wusste. Immer, wenn wir die Stadtgrenze verlassen hatten, war sie als mein Bewacher abgestellt worden. Die letzten Schritte lief ich sehr langsam. Na klar, Liana hatte die Sache mit den Vogelwesen und wahrscheinlich noch viel mehr zu ihrem achtzehnten Geburtstag erfahren und musste nun mir gegenüber Stillschweigen bewahren, weil ich noch in seliger Unwissenheit vor mich hindämmern durfte. Als wenn die Wahrheit weniger hart wäre, wenn man sie später erfuhr. Ich öffnete mein Fenster und zog vier Mal an dem Klingelseil. Nachdem Liana meine Frage mit einem Klingeln bejaht hatte, machte ich mich auf den Weg zum Pavillon. Wenn ich mir sicher war, dass Liana noch mehr wusste, war es bestimmt möglich, noch mehr aus ihr herauszubekommen. Von weitem sah ich sie schon im schwachen Licht einer Öllampe sitzen, auch eines dieser altmodischen Dinge, von denen sich meine Großmutter nicht trennen konnte. Ich ließ mich auf meine Lieblingsliege nieder und schwieg, während Liana mir gegenüber Platz nahm. Ich las ihren besorgten Gesichtsausdruck und sah die Angst, die sie immer noch umgab wie eine dezente Parfümwolke.
„Ich konnte nicht schlafen“, begründete Liana unser nächtliches Treffen. „Wie geht es dir?“
„Gut, wenn man mal außer Acht lässt, dass mich bösartige, geflügelte Wesen angreifen wollten und die Torrels mich zwar gerettet haben, aber auch mein Gedächtnis löschen wollten. Da das leider oder glücklicherweise nicht funktioniert hat, kann ich mich noch genau an alles erinnern. Was noch schockierender ist, ist die Erkenntnis, dass meine beste Freundin über alles Bescheid wusste und sogar als mein Bewacher eingeteilt war und mir nichts davon erzählt
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