Königsjagd
gehört hatte und beim Einfall der Deutschen mobilisiert worden war, war in Arras gefallen. Ihr einziger Trost im
Leben bestand jetzt darin, daß ihrem Sohn, Navigator bei der französischen Luftwaffe, noch rechtzeitig die Flucht nach England geglückt war. Sie legte den Hörer auf, und Kleiber, der das Gespräch mitgehört hatte, hängte die zweite Ohrmuschel wieder an die Gabel. »Sehr gut.«
»Finden Sie«, antwortete sie schnippisch. »Bald werde ich überhaupt keine Gäste mehr haben, und ich weiß immer noch nicht, was dies alles zu bedeuten hat.«
»Zwei Brüder namens Dubois sollen hier doch eine Ladung guten deutschen Wein abliefern, zusammen mit einer noch interessanteren Fracht, stimmt's.«
Angélique Bonnet hatte nicht umsonst fünfzehn Jahre ihrer reiferen Jugend an einer Provinzbühne verbracht, und ihre Konsterniertheit wirkte außerordentlich überzeugend.
»Ich kenne niemanden, der so he ißt, Monsieur, und was deutschen Wein betrifft, nun, nehmen Sie es mir nicht übel, aber er ist bei uns nicht sehr gefragt.«
Kleiber wurde sichtlich unsicher und warf einen Blick auf Schellenberg, der in die Unterhaltung eingriff: »Haben Sie auch die Möglichkeit erwogen, daß sie wirklich keine Verbindung mit dem Lokal haben, sondern nur mit einem bestimmten Gast?«
»Ja, daran habe ich natürlich gedacht.«
»Und die Polizei, hat man ihr eine Beschreibung des Tankwagens gegeben?«
»Ja, mit allen Einzelheiten«, sagte Kleiber förmlich. »Einschließlich Zulassungsnummer. «
»Dann dürfte kein Grund zur Sorge bestehen.« Schellenberg wandte sich an Angélique Bonnet. »Verehrte Madame«, sagte er in fließendem Französisch, »ich fürchte, ich muß Sie noch einmal um ein Glas von diesem Kognak bitten. Er ist wirklich ausgezeichnet.«
Paul Dubois beugte sich in das Fahrerhaus. »Los, wir müssen sie schleunigst hinausschaffen«, sagte er zu Henri. »Im Cafe ist irgend etwas nicht in Ordnung.«
Sein Bruder nahm die Verkleidung ab und zog Hanna durch die Luke. Sie sah sich verwirrt um. »Wo sind wir, in Paris?«
»Ja«, antwortete Paul Dubios. »In Clichy. Ich fürchte, wir sitzen in der Tinte. Jedesmal, wenn wir einen Fahrgast wie Sie abzuliefern haben, rufen wir an, kurz bevor wir hinfahren. Eine vereinbarte Losung. Ich bestelle ein bestimmtes Gericht für eine bestimmte Zahl von Personen. Wenn alles in Ordnung ist, nimmt die Besitzerin des Lokals die Bestellung an.«
»Und eben hat sie es nicht getan?«
»Sie sagte, sie hätte heute abend geschlossen, und soweit ich weiß, war das ECU d'Or noch nie geschlossen, nicht mal in den ersten Tagen der deutschen Besetzung.«
»Was machen wir jetzt?« fragte Henri.
Paul Dubois runzelte die Stirn und faßte einen Entschluß. »Wenn in Berlin etwas schiefgegangen ist, könnte das Ding hier heiß sein«, sagte er, mit der Hand an den Tankwagen schlagend. »Wir lassen ihn einfach stehen und gehen den Rest des Weges zu Fuß. Wenn ich mich irre, wenn alles in Ordnung ist, können wir jederzeit zurückkommen und ihn holen. «
Auf dem Hügel oberhalb des Platzes, an dem das ECU d'Or stand, befand sich eine kleine Kirche. Von ihrem Friedhof aus hatten sie einen guten Blick auf das Cafe mit seiner gestreiften Markise über den Tischen auf dem Bürgersteig.
»In der kleinen Straße dort drüben steht eine schwarze Limousine«, sagte Henri.
Sein Bruder nickte. »Und im Hof des Baugeschäfts rechts noch eine. Oh, wen haben wir denn da?« fügte er hinzu, als Major Ehrlich mit schwarzem Mantel aus dem Cafe trat und über die Straße schritt. »Du kennst ihn?« fragte Henri.
»Kann man wohl sagen. Ein gewisser Ehrlich. Eins von den Gestaposchweinen aus der Rue des Saussaies. Das reicht.« Er wandte sich an Hanna. »Tut mir leid, Kleine. Ich habe keine Ahnung, was schiefgelaufen ist, aber wir werden dort unten erwartet. Sie müssen jetzt selbst sehen, wie Sie zurechtkommen.«
Er nickte Henri zu. Sie eilten fort. Hanna stand allein auf dem Friedhof, noch wie benommen von der unerwarteten Wendung der Ereignisse. Aber sie durfte nicht bleiben. Sie drehte sich um und lief den Hügel hinunter.
Dank des halbjährigen Engagements in dem Cabaret, vor dem Krieg, kannte sie Paris recht gut, was jetzt einen unschätzbaren Vorteil bedeutete. Sie eilte durch die Straßen von Montmartre, vorbei an der Gare St. Lazare, weiter unten, und hielt erst inne, als sie endlich den Place de la Concorde erreicht
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