Königskinder (German Edition)
müssen. Stell dir das vor, so was Blödes! Und nun fahre ich nach Australien, und das war der letzte Satz, den sie von mir gehört haben. Wann werden wir uns wiedersehen? Wovon leben sie jetzt? Mein Vater musste seine Kartonagenfabrik zu einem Spottpreis verkaufen. Das Geld wird nicht lange reichen.»
Otto seufzt. Beim besten Willen fällt ihm nichts Tröstliches ein. «Ich weiß auch nichts von meiner Frau», sagt er dann.
In der vierten Augustwoche munkelt man, Australien könne nicht mehr weit sein, denn plötzlich werden wieder Salzwasserseifen und Rasierklingen verteilt. Nach einer rudimentären Verbesserung ihres Erscheinungsbildes tragen viele blutige Schnitte im Gesicht davon. Die Männer erhalten auch eine bunte Mischung an Kleidungsstücken aus den aufgebrochenen Koffern, die hinten und vorne nicht passen, sodass viele noch trostloser aussehen als zuvor. Männer über fünfundfünfzig und Kranke dürfen nun täglich zwei Stunden aufs Oberdeck. Sie erhalten ein rotes Band, damit sie von den Wachen erkannt werden. Jemand hat die geniale Idee, den Stoff zu zerschneiden, um mehr Bänder daraus zu machen. Für Erich und Otto reicht es nicht.
Plötzlich kursiert das Gerücht, alle Internierten würden in Australien freigelassen. «Natürlich werdet ihr nicht freigelassen», höhnt der Löwenjäger, «in ein paar Monaten vielleicht.»
Als Erich wagt, ihn daran zu erinnern, dass die Männer bei der Landung damit rechnen, ihre Wertgegenstände wiederzubekommen, wird er für ein paar Tage bei Brot und Wasser in eine Gefängniszelle gesperrt. Er schläft auf dem nackten Boden. Abends sieht er durch die Gitterstäbe, wie zwei Jugendliche von einem stockbesoffenen O’Neill zusammengeschlagen werden, unterstützt von zwei ebenfalls betrunkenen Soldaten. Wenn O’Neill betrunken ist, ist er gefährlich, das wissen alle. «Du bist ein swine , und dein Vater ist ein swine », lallt er mehrmals auf Deutsch. Dem jüngeren der beiden schlägt er so heftig mit der Faust in die Magengrube, dass dieser sich zusammenfaltet wie ein Klappmesser.
Gebeutelt kehrt Erich aus der Haft zurück. «Da lob ich mir die Austrofaschisten, geschlagen haben die mich nie.»
Das Leben an Bord wird immer unerträglicher, je länger die Reise andauert. Das eingeschmuggelte Geld ist längst aufgebraucht, sodass die Raucher keine Zigaretten mehr kaufen können und entsprechend mürrisch und zänkisch sind. Das Essen ist eintönig und wird immer weniger und schlechter, dünner Tee, trockene Brote mit ranziger Butter oder Margarine, madiges Porridge, eine Wassersuppe ohne jeden Nährwert, Dosenfutter, ab und zu eine Zwiebel und an besseren Tagen Räucherhering, Wurst und faulige Kartoffeln. Es fehlt die Energie für Kabarettabende wie in der Anfangszeit, und die Männer werden immer apathischer. Seit über zwei Wochen gibt es nichts zu sehen als Ozean.
Ein Internierter stirbt im Zuge eines Gerangels um ein Stück Seife an einem Herzanfall, selbst Dr. Schatzki kann ihn nicht retten. Zum Seebegräbnis beordert O’Neill alle Mann an Deck. Matrosen tragen die in eine Hängematte eingewickelte Leiche und legen sie auf die Deckplanken neben der Reling. Die Schiffsmaschinen werden angehalten. Der Kapitän tritt an den Toten heran und spricht ein kurzes Gebet. Dann übergeben die Matrosen das Bündel dem Meer.
Am Vormittag des siebenundzwanzigsten August drehen sich die Schrauben plötzlich langsamer, Ketten rasseln, und das beständige Rauschen der See ermattet. Hörbar bereitet sich die Dunera auf eine Landung vor. «Land!», schreien die Männer aufgeregt. Kann das nun endlich Australien sein?
«Australien!», jubelt es.
Der Hafen heißt Fremantle und gehört zu Perth, der Hauptstadt Westaustraliens.
«Sieht doch gar nicht so schlecht aus», sagt Otto mit wachen Augen. «Bäume, Sonne, Autos, alles hell erleuchtet wie im Frieden. Was will man mehr?»
In Fremantle besteigen Ärzte, Inspektoren und Zollbeamte das Schiff und sind geschockt vom Anblick der ausgemergelten Männer und dem Gestank, der von den unteren Decks nach oben dringt. Das Schiff wird desinfiziert, und die Internierten werden geimpft. Die Inspektoren bleiben bis Melbourne an Bord und bemühen sich, die Bedingungen in den letzten noch verbleibenden Tagen zu verbessern. Unverzüglich werden die Luken geöffnet. Wer besonders abgemagert ist, erhält von den Ärzten eine Extraration Milch und Eier verordnet. Einer der Inspektoren verfasst einen handschriftlichen Brief, in dem er
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