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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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entrüstet. »Hast du es überhaupt gelesen?«
    »Ich kenne den Film«, sagte der Junge und kam nun wieder auf mich zu. »Denkst du jetzt gerade?« Er musterte mich neugierig.
    »Wie bitte?«, fragte ich, weil ich das Gefühl hatte, ich hätte einen Teil seiner Frage überhört.
    »Ob du jetzt gerade denkst, will ich wissen! In diesem Moment«, spezifizierte er seine Frage. »Ihr Genies denkt doch die ganze Zeit … oder macht ihr auch mal ’ne Pause?«
    »Jeder Mensch denkt immer«, sagte ich im Brustton der Überzeugung und fügte nach kurzer Überlegung an: »Glaube ich zumindest.«
    »Ich nicht!«, strahlte er. »Ich kann einfach so dasitzen und nichts denken. Ich denke dann nicht mal, dass ich nichts denke, weil das ja Denken wäre.«
    »Aber irgendetwas musst du doch denken! Du kannst doch nicht einfach nur dasitzen, als ob du leer wärst!«, wandte ich ein.
    »Nee, echt! Ich denke gar nichts!«, bekräftigte der Junge stolz.
    »Hast du dann die Augen zu?«, wollte ich wissen.
    »Nö.«
    »Ha!«, rief ich triumphierend. Ich war jetzt richtig in meinem Element: »Wenn du deine Augen auf hast, dann siehst du doch was. Und wenn man etwas sieht, dann bemerkt man es. Und wenn man etwas bemerkt, dann ist es das Gehirn, das es bemerkt. Und wenn dein Gehirn etwas bemerkt, dann passiert etwas in deinem Gehirn und wenn in deinem Gehirn etwas passiert, dann ist das Denken!« Ich war sehr zufrieden. Eine saubere Beweiskette.
    »So ’n verkackter Quatsch! Etwas zu sehen ist doch nicht denken!«, protestierte der Junge.
    »Wohl!«, rief ich.
    »Gar nicht!«
    »Doch wohl!«, rief ich. »Und wenn du denkst, du denkst nicht, dann denkst du eben doch!«
    »Ich hau dir in die Fresse!«, donnerte es zurück.
    »Das denkst auch nur du!«, krakelte ich.
    Dann sahen wir uns an – und lachten plötzlich los. Wir schüttelten uns regelrecht vor Lachen. Die Bibliothekarin, die unser Gespräch die ganze Zeit mit angehört hatte, schaute uns durch ihre dicke Brille an. Sie lächelte.
    »Ihr seid ja richtige kleine Philosophen«, sagte sie.
    Wir ignorierten sie. Der Junge streckte mir seine Hand entgegen. »Ich heiße Hassan.«
    Ich schüttelte seine Hand. »Ich heiße Mark.«
    »Mark?«, grinste Hassan. »Hast du auch einen kleinen Bruder, der Pfennig heißt?«
    Wir waren acht Jahre alt und fanden diesen Witz rasend komisch. Wieder gackerten wir hysterisch. Ein Ehepaar, das gerade mit einem kleinen Mädchen auf dem Flur an der geöffneten Bibliothekstür vorbeiging, schaute uns erstaunt an. Wahrscheinlich waren wir die ersten kleinen Genies, die sie heute lachen sahen.
    »Kommst du auch auf diese Schule?«, fragte ich Hassan hoffnungsvoll, nachdem mein Lachkrampf vorbei war.
    »Ich?«, rief Hassan entsetzt. »Arsch nee! Ich geh da drüben.« Er zeigte durch das Fenster auf die Haupt- und Realschule. »Ich wollte nur mal gucken, ob ihr Mösenkauer wirklich alle so kackeklug seid!«
    »Und?«, fragte ich. »Sind wir’s?«
    Hassan stieß einen verächtlichen Pruster aus: »Pah!« Dann imitierte er meinen kleinen Vortrag von eben mit quakig dozierender Stimme: »Wenn dein Gehirn etwas sieht, dann denkt das Gehirn auch, weil sehen ist ja wie denken …«
    Ich kicherte.
    »Ihr seid auch nicht klüger als wir. Eure Eltern haben nur mehr Geld«, sagte Hassan.
    Ich zuckte mit den Schultern. Konnte gut sein, dass er recht hatte.
    Er sah mich forsch an. »Wollen wir uns mal zum Fußball treffen?«, fragte er dann.
    Ich seufzte. Was war das, was alle Welt – zumindest alle Welt außerhalb meiner Schule – an diesem Sport so toll fand? Andererseits war dieser Junge so interessant und witzig, dass ich sogar einem blöden Ball hinterherlaufen würde, um ihn wiederzusehen.
    »Nur, wenn du danach Schach bei mir lernst«, sagte ich.
    Hassan streckte mir noch einmal die Hand hin. »Abgemacht«, sagte er. »Morgen Nachmittag? So um drei? Komm einfach rüber zum Tor.«
    »Ich, äh … ich wohne ganz woanders. Meine Mutter holt mich immer mit dem Auto von der Schule ab, und ich glaube nicht, dass sie mich später noch mal bringt«, sagte ich.
    »Dann kommste einfach direkt nach der Schule mit zu mir zum Essen und deine Eltern holen dich dann später bei uns ab«, schlug Hassan vor.
    Ich hatte das vage Gefühl, dass es nicht so einfach werden würde. Ich dachte an Arno, den Marienthaler Indianer-Folterer. Und an Udo, den universal interessierten Stubenhocker, dem seine Mutter den Seitenscheitel zog. Das war die Art von Kind, mit denen mich meine

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