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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Eltern gern sahen. Hassan passte nicht so recht ins Bild.
    »Weißt du was«, schlug ich also vor. »Gib mir doch einfach deine Telefonnummer.«
    »Kacke, bist du kompliziert«, seufzte Hassan. »Das hätte ich ahnen müssen.«
    Trotzdem ging er zur Bibliothekarin, die unser Gespräch nach wie vor unverhohlen verfolgte, nahm den Kugelschreiber, den sie ihm kommentarlos hinhielt, und kritzelte seine Telefonnummer auf einen der Schach-AG-Infozettel, die neben dem Brett lagen. Er streckte ihn mir grinsend entgegen, und als ich ihn so beiläufig wie möglich entgegennahm, hatte ich das Gefühl, einen Schatz in der Hand zu halten.
    *
    Alabama Karl wurde ein fester Bestandteil meines Lebens. Nach der Geschichte mit dem Luftballon kam er immer öfter im Laden vorbei. Meine Mutter fiel nicht mehr in eine Schockstarre, wenn sie ihn sah, sondern freute sich, ihn zu sehen. Und irgendwann begann ich zu ahnen, dass er genauso sehr ihretwegen in unserem kleinen Geschäft auftauchte wie meinetwegen.
    Alabama half mir bei den Hausaufgaben, packte auch mal im Laden mit an, schleppte Kisten oder verkaufte Sachen an Kunden, wenn meine Mutter beschäftigt war. Manchmal kam er fast täglich und verbrachte viel Zeit mit uns, dann verschwand er wieder für Wochen, ohne ein einziges Lebenszeichen von sich zu geben. Dann war er auf Tournee. Alabama Karl war nämlich Musiker; er spielte Schlagzeug in einer Band namens Highway Dust. Meine Mutter war immer ein wenig deprimiert, wenn er uns allein ließ – bis er dann eines Tages ganz plötzlich wieder mit einem Bimmelim in unser Leben trat und sie wieder strahlen konnte. Ich war ein bisschen eifersüchtig, als ich es endlich kapierte: Meine Mama war in Alabama Karl verliebt. Und er wohl auch in sie. Ein bisschen. Auf seine ganz eigene Art und Weise.
    Irgendwann besuchte er uns nicht mehr nur im Laden, sondern kam auch zu uns nach Hause. Das erste Mal hatte er noch eine gute Erklärung: Er half meiner Mutter, eine Deckenlampe anzubringen. Danach kam er einfach so. Oft brachte er eine Tüte mit zwei halben Hähnchen mit, was meine vegetarische Mutter einerseits ärgerte, andererseits aber auch freute, weil mit dem Hähnchen eben auch Karl kam. Meine Mutter bekam von ihm Pommes, und dann saßen wir gemeinsam um den runden Küchentisch und lachten viel, Mama, Karl und ich.
    Oft, wenn ich abends ins Bett ging, lümmelte Karl immer noch mit meiner Mama auf der Matratze im Wohnzimmer herum, hörte mit ihr Musik von Iron Butterfly, Yes, Lynyrd Skynyrd und Novalis und redete mit ihr über Gott, Buddha, Rockmusik und die Welt. Manchmal schauten sie auch fern. Aber Fernsehen war bei uns die absolute Ausnahme. Höchstens mal einen Bericht über ferne Länder oder Tiersendungen. Und natürlich die Rockpalast -Nächte. Am nächsten Morgen aber, wenn ich zum Frühstück in die Küche ging, war Karl prinzipiell nicht mehr da. Er schlief nicht bei uns. Es schlief überhaupt kein Mann mehr bei uns. Früher, vor Karl, hatte meine Mutter ja oft irgendwelche Typen gehabt, die über Nacht blieben und mir morgens meine letzte Portion Käpt’n Nuss klauten. Aber nun war es, als sparte sich meine Mama einzig für Karl auf. Nur brach der das ihm großzügig angebotene Guthaben offenbar nie richtig an.
    Einmal wachte ich nachts auf und schlurfte ins Bad, weil ich mal musste. Als ich die Tür öffnete, saß meine Mutter auf der Toilette. Aber sie pinkelte nicht. Sie saß auf dem geschlossenen Deckel, mit angezogener Unterhose. Sie hatte das Gesicht in die Hände gestützt – und weinte! Sie weinte herzzerreißend. Ich bekam einen riesigen Schreck, denn so hatte ich meine Mama noch nie gesehen.
    »Was ist denn, Mama?«, fragte ich und bemühte mich um eine feste Stimme.
    »Leere«, sagte sie. »Da ist eine große Leere.«
    Ihr T-Shirt roch nach Haschisch. Ich kannte den Geruch, obwohl meine Mama dachte, ich würde das Zeug, das sie rauchte, für Parfüm-Tabak halten. Aber ich war doch nicht blöd! Ein Mann im Laden hatte mir erzählt, was das für ein Geruch war. Er hatte albern dabei gelacht und mir zugezwinkert.
    Ich umarmte meine Mutter und sie umarmte mich. »Kinder sollten nicht ihre Mütter trösten müssen«, schniefte sie, ließ mich aber nicht los.
    »Das ist doch nur gerecht«, sagte ich. »Du hast mich ja auch getröstet, als Schnurri starb.«
    Schnurri war eine streunende Katze, die ich bei einem Spaziergang mit meiner Mutter in Marienthal (»So, Saraswati, jetzt hast du auch mal gesehen, wo unsere reichen

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