Königsklingen (First Law - Band 3)
packen.
Mit einem Ruck sprang sie auf das Geländer, verharrte kurz in der Hocke und sammelte sich. Sie dachte nicht nach. Nachdenken wäre Wahnsinn gewesen. Und dann sprang sie mit ausgestreckten Armen und Beinen ins Leere. Der ganze Apparat wackelte und schwankte, als sie den äußersten Ring erwischte. Kurze Zeit baumelte sie atemlos an dem Metallstück. Langsam und ganz vorsichtig, die Zunge gegen ihren Gaumen gedrückt, zog sie sich nach und nach mit den Armen höher, schob schließlich die Beine über den Ring und zog den Rest ihres Körpers hinterher. Es dauerte nicht lange, und der Ring führte sie nahe an eine breite Scheibe heran, in die lauter Rillen eingekerbt waren, und sie kletterte hinüber, während ihr ganzer Körper vor Anstrengung bebte. Das kalte Metall erschauerte unter ihrem Gewicht, schwankte, bog sich und bebte unter jeder ihrer Bewegungen; drohte, sie ins leere Nichts zu schleudern. Möglich, dass Ferro keine Angst kannte.
Aber ein Sturz aus etwa hundert Schritt auf den härtesten aller Steinböden nötigte auch ihr den größten Respekt ab.
Und so schlitterte sie weiter, von einem Ring auf den nächsten, und sie wagte dabei kaum zu atmen. Sie redete sich ein, es gäbe gar keinen Abgrund. Sie kletterte nur auf Bäumen, rutschte zwischen den Ästen hin und her, so wie sie es als Kind getan hatte, bevor die Gurkhisen gekommen waren. Endlich konnte sie den innersten Ring packen. Wild klammerte sie sich daran fest und wartete, bis seine Bewegung sie nahe an die Mitte heranführte. Die Beine über dem dünnen Metall gekreuzt, hing sie herab, hielt sich noch mit einer Hand fest, und die andere streckte sich nach der schimmernden schwarzen Kugel aus.
In der vollkommenen Oberfläche dieser Kugel sah sie ihr starres Gesicht, ihre griffbereite Hand, geschwollen und verzerrt. Mit jedem Nerv, die Zähne zusammengebissen, reckte sie sich weiter vor. Näher, noch näher. Nur eines zählte, dieses Ding zu berühren. Die Spitze ihres Mittelfingers tippte schließlich dagegen, und als ob eine Seifenblase geplatzt sei, verschwand die Kugel plötzlich wie im Nebel.
Etwas befand sich im freien Fall, ganz langsam, als ob es im Wasser versänke. Ferro sah, wie es sich von ihr entfernte, ein dunklerer Fleck in der tintenschwarzen Dunkelheit, der nach unten, immer weiter nach unten glitt. Dann schlug das Ding mit einem Krach auf den Boden, der das Haus des Schöpfers in seinen Grundfesten zu erschüttern schien und die Halle mit donnernden Echos erfüllte. Der Ring, an dem Ferro hing, zitterte, und einen bebenden Augenblick lang hätte sie beinahe losgelassen. Als sie sich wieder hinaufgezogen hatte, merkte sie, dass das Gebilde sich nicht mehr bewegte.
Der ganze Apparat war still.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis es ihr gelang, über die bewegungslosen Ringe auf die oberste Galerie zu klettern und den langen Abstieg von der hoch aufragenden Mauer zu beginnen. Als sie endlich auf dem Boden des höhlenartigen Saales angelangt war, war ihre Kleidung zerrissen, ihre Hände, Ellenbogen und Knie abgeschürft und blutig, aber das bemerkte sie kaum. Hastig eilte sie durch die große Halle, und ihre Schritte dröhnten laut. Hin zum Mittelpunkt des Raumes, wo das Ding, das da herabgefallen war, noch immer lag.
Es sah aus wie ein Stück dunklen Steins mit unebener Oberfläche, das vielleicht die Größe einer Faust hatte. Aber es war kein Stein, und Ferro wusste das. Sie fühlte, dass etwas aus ihm herausleckte, herausströmte, wie eine Flut in erregenden Wellen. Etwas, das man nicht sehen und nicht berühren konnte, und dennoch füllte es den ganzen Raum bis in die dunkelsten Winkel. Unsichtbar und unwiderstehlich umspülte es sie und zog sie nach vorn.
Ferros Herz schlug heftig gegen ihre Rippen, als sich ihre Schritte dem Ding näherten. Ihr Mund füllte sich mit hungrigem Speichel, während sie sich daneben auf den Boden kniete. Der Atem brannte in ihrer Kehle, als sie mit kribbelnder Handfläche danach griff. Dann schlossen sich ihre Finger um die narbige, unebene Oberfläche. Sehr schwer und sehr kalt, als sei es ein Stück gefrorenes Blei. Sie hob es langsam hoch, drehte es in der Hand hin und her und betrachtete fasziniert, wie es in der Dunkelheit schimmerte.
»Der Samen.«
Bayaz stand in einem der Durchgänge, und sein Gesicht zuckte in einer hässlichen Mischung aus Freude und Entsetzen. »Verschwinde, Ferro, sofort! Bring ihn in den Palast.« Er wich zurück und hob einen Arm, als wolle er sich
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