Kohärenz 01 - Black*Out
müssen wir den Ort durchfahren.«
Das hatten sie sowieso schon: Shiver Falls bestand nur aus wenig mehr als einer Handvoll Häusern, einem Laden mit zwei rostigen Zapfsäulen davor und einer baufälligen Kirche.
»Nach der Brücke über den Fluss die zweite Straße rechts«, behauptete Serenity.
Melanie hielt an der Einmündung einer staubigen Schotterpiste an. »Das wäre hier. Falls wir das als Straße durchgehen lassen.«
Serenity spähte aus dem Fenster, entdeckte ein Straßenschild. »Summer Road. Das ist es.«
»Also dann.«
Sie folgten der Piste, die zunächst geradeaus und hügelan führte. Keine Spur von einem Haus, aber immerhin, neben ihnen hangelten sich ein Strom- und ein Telefonkabel von Mast zu Mast; die mussten ja irgendwohin führen.
Sie passierten den Hügel. Dahinter ging es wieder abwärts und in einer Kurve um ein Stück Wald herum. Und da, an einem Bach, stand das Haus. Mit gelben Fensterläden, wie Dr. Lundkvist es beschrieben hatte.
»Wow! Das nenne ich mal einsam gelegen!«, war Melanies Kommentar.
Sie hielt vor dem Haus, stellte den Motor ab und sagte: »Also, Mädels, verplappert euch nicht. Sie weiß nicht, worum es geht, und sie will es auch nicht wissen.«
Sie stiegen aus. Überall lag Spielzeug herum. Unter einem Baum stand eine Rutsche, und an einem dicken Ast hing eine Reifenschaukel.
Eine dünne, dunkelhaarige Frau wartete auf den Stufen, die zur Haustür emporführten. Das musste Patricia Batt sein, die Tochter von Dr. Lundkvist. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte nicht wirklich erfreut.
»Hallo«, rief Melanie. »Ich bin Melanie Williams, und das sind Serenity und Madonna.«
»Ich hab Sie kommen sehen«, erwiderte die Frau, ohne sich zu rühren.
»Und woher wussten Sie, dass wir es sind?«
»Hierher kommen nicht viele.«
Sie stand immer noch reglos. Man könnte, schoss es Serenity durch den Kopf, sie fotografieren und ein Plakat daraus machen mit dem Untertitel ›Zutritt nur über meine Leiche‹.
In diesem Moment quetschte sich ein kleiner Junge von etwa acht Jahren durch das Fliegengitter ins Freie. Neugierig und scheu zugleich drückte er sich an seine Mutter, die ihm zärtlich über die Haare strich.
»Das ist Eric«, sagte sie. »Eric, sag Hallo.«
Der Kleine verkroch sich förmlich hinter seiner Mutter. Aus diesem Schutz heraus musterte er sie der Reihe nach, brachte aber kein Wort heraus.
Bis er Madonna erblickte. Als er sie sah, lächelte er.
»Hallo, Eric«, sagte sie.
»Hallo«, flüsterte das Kind.
Damit war der Bann gebrochen. »Ich bin Patricia«, sagte die Frau. »Kommt herein.«
Melanie hob als Erstes einen der Kartons mit den Einkäufen aus dem Auto. »Wir haben ein bisschen was mitgebracht«, erklärte sie. »Ich dachte mir, Sie freuen sich sicher, wenn Sie mal nicht kochen müssen.«
Patricia riss überrascht die Augen auf. »Oh! Das ist schön.«
»Wir werden überhaupt alles machen«, fuhr Melanie fort, während sie Serenity den Karton weiterreichte. »Wir werden putzen, die Wäsche waschen, den Rasen mähen und so weiter. Solange wir da sind, haben Sie Urlaub.«
Serenity und Madonna wechselten einen entsetzten Blick. Davon war bis jetzt nie die Rede gewesen.
»Urlaub?«, wiederholte Patricia mit müdem Lächeln. »Ich weiß gar nicht mehr, was das ist.«
Sie zeigte ihnen das Haus. Durch die Haustür betrat man eine kleine Wohnküche, dahinter führte ein Flur zum Bad und den übrigen Räumen.
Im Flur hing auch das Telefon.
»Darum ging’s doch, oder?«, fragte Dr. Lundkvists Tochter.
»Ja«, sagte Melanie.
»Okay. Also, da ist es«, erklärte Patricia knapp. »Mehr will ich über die Sache nicht wissen.«
Das Zimmer, in dem die Mädchen schlafen sollten, war bis auf eine mit Aktenordnern und Kisten vollgestopfte Regalwand leer. Zwei Luftmatratzen lagen auf dem Boden.
»Das war das Arbeitszimmer von Erics Vater, ehe er …« Patricia machte eine ärgerliche Handbewegung, die wohl bedeutete, dass der Mann irgendwann abgehauen war. »Ein bisschen kahl. Tut mir leid.«
»Das ist okay«, beeilte sich Serenity zu versichern. Sie sah Madonna an. »Oder? Ist doch okay?«
»Völlig okay«, versicherte ihre Freundin.
»Na dann«, sagte Patricia.
Melanie bekam das Kinderzimmer; Eric würde die Zeit bei seiner Mutter schlafen. Er käme eh jede Nacht, beharrte Patricia, als Melanie meinte, so viel Umstand sei nicht nötig, sie könne durchaus auch noch zu den Mädchen ins Zimmer …
»Puh! Glück gehabt«,
Weitere Kostenlose Bücher