Kohärenz 01 - Black*Out
verlassen.
»Wir fragten jeden, der ihn kannte«, sagte Christopher, »aber niemand wusste, wohin er gegangen war.«
Kyle, der in der Nähe des Fensters saß, hob den Kopf. »Warte mal kurz«, sagte er. »Das könnten sie sein.«
Christopher brauchte einen Moment, um wieder in die Gegenwart einzutauchen. Draußen rollte ein weißer Pick-up die Straße entlang, auf dessen Ladefläche eine Menge Kartons standen, die mit einer regenfesten Plane gesichert waren.
»Sind das Dads Leute?«, fragte Serenity.
»Ja.« Kyle stand auf, schob den Vorhang zwei Fingerbreit zur Seite.
Christopher und Serenity standen auch auf, traten hinter ihn. Der Pick-up hielt zwei Häuser weiter. Zwei Männer stiegen aus, stapften zur Haustür, klingelten. Sie redeten kurz mit jemandem, den man nicht erkannte, der sie aber offenbar abwies oder ihnen jedenfalls nicht weiterhelfen konnte, worauf die Männer es beim Nachbarhaus versuchten.
Dort öffnete niemand. Sie wechselten einen Blick, drehten um, kehrten auf die Straße zurück und gingen zum nächsten Haus.
Zu ihrem.
»Und wenn es Upgrader sind?«, fragte Serenity leise.
Kyle atmete geräuschvoll ein.
»Du kennst die also nicht?«
»Nein«, gab Kyle zu. Er wandte den Kopf, sah sie an. »Ihr beide geht nach hinten. Wartet bei der Verandatür, was passiert. Notfalls müsst ihr flüchten, verstanden? Ohne mich. Ich komm schon klar.«
Die beiden Männer betraten den Plattenweg zum Haus.
»Macht schon!«, zischte Kyle.
32 | Flüchten. Okay. Aber wohin? Christopher spähte durch die Verandatür. Der Garten war winzig, dann kam ein Bretterzaun und der Garten des nächsten Hauses. Amerika war ein großes Land, aber die Häuser waren so dicht aneinandergebaut, als sei Platz dazwischen etwas Schlimmes.
»Da ist niemand zu sehen«, flüsterte Serenity. »Meinst du nicht, die kämen von allen Seiten, wenn es Upgrader wären?«
»Schätze schon«, meinte Christopher. Er umfasste den Türgriff. »Ich schau mich mal um.«
Sie sah ihn skeptisch an, aber sie wandte nichts ein in der Art wie Aber Kyle hat gesagt oder Nein, das ist zu gefährlich. Dicker Pluspunkt.
Er öffnete die Verandatür, stieß das Fliegengitter beiseite und trat hinaus. Nichts passierte. Niemand brach aus dem Gebüsch, sprang über den Zaun oder ballerte in die Luft.
Okay. Ermutigend. Und jetzt nach vorn, nachsehen, was sich dort abspielte. Er hielt sich dicht an der Außenwand, ging hinter einem Busch in Deckung. Kyle stand mit den beiden Männern auf der Straße und gestikulierte, schien ihnen den Weg irgendwohin zu erklären. Sie fragten mehrfach nach, vergewisserten sich offenbar, dass sie alles richtig verstanden hatten, bedankten sich schließlich und marschierten zu ihrem Wagen zurück.
Christopher huschte wieder nach hinten und ins Haus. »Entwarnung«, beruhigte er Serenity. »Das war harmlos. Zwei Auslieferfahrer, die nach dem Weg gefragt haben.«
Sie gingen wieder nach vorn in die Küche. Dort klapperte es schon heftig; Kyle war dabei, hastig das Frühstücksgeschirr abzuräumen. »Los, Beeilung«, rief er. »Spülen, aufräumen, packen. In zehn Minuten müssen wir los.«
»Wieso das denn?« Seine Schwester sah ihn verblüfft an.
»Das waren unsere Lotsen. Wir treffen sie in einer halben Stunde auf dem Parkplatz vor dem K-Mart in der 17. Straße.«
Nach hektischen zehn Minuten war alles gespült und weggeräumt, nichts zu Bruch gegangen und waren alle Klamotten wieder in den Rucksäcken und Reisetaschen verstaut. Kyle ging noch einmal durch sämtliche Zimmer, um sich zu vergewissern, dass sie das Haus einigermaßen aufgeräumt zurückließen, meinte »Geht so«, dann brachen sie auf.
Bis zu dem Supermarkt brauchten sie fast vierzig Minuten, obwohl Kyle so zügig wie möglich fuhr. Der Parkplatz davor war nicht gerade klein und alles andere als übersichtlich. Kyle bremste ab. Im Schritttempo und mit wachsender Nervosität hielten sie Ausschau. Endlich entdeckte Serenity den weißen Pick-up auf einem Stellplatz vor dem Seiteneingang.
Ihr Bruder stoppte kurz, einer der beiden Männer hob grüßend die Hand, Kyle erwiderte die Geste und lenkte seinen Wagen in Richtung Ausfahrt. Noch ehe sie die erreicht hatten, fuhr der Pick-up an ihnen vorbei, und ab da folgten sie ihm einfach.
Es ging aus der Stadt hinaus nach Norden. Stundenlang. Ein endlos scheinender, mehrspuriger Highway führte durch eine flache, karge Landschaft, die sich nie zu ändern schien.
Irgendwann erhoben sich Berge vor ihnen.
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