Kohärenz 01 - Black*Out
Zeitschriften dürfen nur mit staatlicher Erlaubnis erscheinen. Wenn mehr als drei Leute öffentlich über Politik diskutieren wollen, brauchen sie eine Lizenz. Der Besitz von Satellitenschüsseln ist verboten, alle Fernseher sind ans Kabelnetz angeschlossen, in dem sämtliche Programme zensiert werden. Sexuelle Darstellungen, Äußerungen, die religiöse Gefühle irgendeiner der zugelassenen Konfessionen verletzen könnten, unerwünschte politische Meinungsäußerungen – das wird alles unterdrückt.« Linus breitete die Arme aus, lehnte sich zurück. »Und so kommt es, dass Singapur eine sichere, saubere Stadt ist, in der Millionen Menschen verschiedenster Herkunft und Religion friedlich zusammen leben: dank totaler Kontrolle.«
Es klang gruselig, wie er das sagte. Es klang, als gefiele ihm das.
Dad räusperte sich unbehaglich. »Deine Firma«, wechselte er das Thema. »Was macht ihr eigentlich genau?«
»Biotechnologie«, erwiderte Linus. »Eine absolute Boombranche. Und hier in Singapur hat man keine Angst vor dem Fortschritt. Anders als in Europa.« Er zog einen Prospekt aus der Tasche, drückte ihn Dad in die Hand. »Wir entwickeln Medikamente zur Regeneration von Körpergewebe und vertreiben sie weltweit. Das sind Stoffe, die das Zellwachstum anregen, vor allem das von Nervenzellen.«
»Ah«, machte Dad und faltete den Prospekt auseinander. Auf der Innenseite waren die Vorstandsmitglieder der Firma abgebildet. Linus gehörte dazu und Ayumi ebenfalls. »Interessant.«
Das Hotel war ein kolossaler Bau mitten in der Stadt, ein wahrer Palast mit umlaufenden Säulen im griechischen Stil, von Palmen gesäumt. Die Eingangshalle: ein Traum aus Licht und Glas und Gold, so hoch wie die Halle eines Bahnhofs. Ihre Zimmer waren luxuriöser als jeder andere Raum, den Christopher je im Leben gesehen hatte. Am liebsten hätte er das Abendessen geschwänzt, zu dem Linus und Ayumi sie erwarteten. Er hätte den Rest des Abends auf dem riesigen Bett in seinem Zimmer liegen und auf den Singapore River schauen können, der im Abendlicht aussah, als schwimme Blattgold auf dem Wasser.
Wobei der gigantische Fernseher auch nicht ohne war.
Keine Chance. Dad rief ihn an, kaum dass er sich im Zimmer umgesehen hatte, und mahnte zur Eile. Also duschte Christopher sich den langen Flug vom Leib, zog frische Sachen an, und dann gingen sie hinunter, wo ein von Linus bestelltes Taxi wartete.
Linus und Ayumi wohnten in einem Luxusapartment, zwanzig Stockwerke über der Stadt. Inzwischen war – verblüffend abrupt – die Nacht angebrochen, und die Lichter Singapurs glitzerten wie Geschmeide auf schwarzem Samt. Vom Verkehrslärm hörte man hier oben nichts mehr.
Sie speisten an einem langen Tisch, von drei schweigsamen Bediensteten umsorgt. Es schmeckte fremdartig, aber so gut, dass Christopher nun doch froh war, nicht im Hotel geblieben zu sein. Von dem Familienbesuch, den Linus erwähnt hatte, war nichts zu sehen; die seien ausgegangen, meinte Linus nur kurz, als Christophers Mutter ihn danach fragte.
Nach dem Essen gingen die Männer hinaus auf den Balkon, weil Linus noch eine Zigarette rauchen wollte, während die beiden Frauen Ayumis Orchideensammlung besichtigten.
Ein warmer Wind wehte vom Meer her, roch nach Tang und Diesel und seltsamen Gewürzen.
»Sieht ganz so aus, als hättest du deinen Millionengewinn optimal angelegt.« Dad lehnte sich über die Balkonbrüstung.
Linus blies eine Lunge voll Rauch in die Nacht. »Kann man so sagen.«
»Hast du eigentlich noch diese … Internetschnittstelle?«
Christopher grinste vor sich hin. Den ganzen Flug über hatte Dad nichts anderes beschäftigt. Es war ein Wunder, dass er es so lange ausgehalten hatte, bis er die Frage stellte.
Linus drückte seine Zigarette sorgfältig in einem sandgefüllten Aschenbecher aus. »Im Prinzip ja«, sagte er. »Allerdings bin ich inzwischen ein paar Schritte weiter.«
Christophers Vater drehte sich zu ihm um. »Wie muss man sich das vorstellen?«
»Ich weiß nicht, ob du dir das vorstellen kannst.« Linus musterte Dad skeptisch. »Wie soll ich das beschreiben? Ich hab den Stein der Weisen gefunden. Das ultimative Ding. Das, was besser ist als alle Träume, die jemals geträumt worden sind. Eigentlich habe ich bloß noch ein einziges Problem in meinem Leben: das jemandem klarzumachen.«
40 | »Versuch’s einfach«, sagte Dad.
Am anderen Ende des Balkons glitt eine Schiebetür auf. Ayumi und Mutter traten heraus, in ein Gespräch über
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