Kohärenz 03 - Time*Out
zu dem sein Vater früher ab und zu Familienfotos hochgeladen hatte. Der Account war noch gültig. Die Fotos waren nicht mehr ganz aktuell, aber das Beste, was er hatte. Er suchte ein paar Aufnahmen aus, auf denen seine Mutter gut zu erkennen war und die sie von verschiedenen Seiten zeigten. Dann schnitt er die Bilder so zu, dass nur ihr Gesicht übrig blieb, lud die Dateien herunter und verfütterte sie an die Suchsoftware.
Dafür, dass er diese Funktion das erste Mal benutzte, lief es erstaunlich glatt. Die bisherigen Videoflächen wichen der Anzeige Suchvorgang läuft.
»Das wird dauern«, sagte Guy. Er zog den anderen Computer zu sich heran und öffnete ein paar Browserfenster. »Ich schau mal derweil nach, was sich sonst so in der Welt tut.«
Christopher überlegte kurz. Die Suche lief auf den Servern der Londoner Polizei, belastete also ihre Internet-Verbindung nicht. »Ja, gute Idee«, sagte er.
In den Onlineausgaben der amerikanischen Zeitungen, die Guy aufrief, fanden sie nichts. Die letzten Meldungen waren etliche Stunden alt. »Es haben eine Menge Upgrader in den Medien gearbeitet«, sagte Christopher. »Die müssten alle zur gleichen Zeit ausgefallen sein wie der Präsident.«
Guy nickte, die buschigen Augenbrauen gefurcht. »Hier ist nicht mal der Server erreichbar. Das ist ja unterirdisch.« Er tippte eine andere URL ein. Die Startseite einer italienischen Zeitung erschien. Das Foto des reglos dastehenden Präsidenten füllte fast den gesamten Bildschirm. »Okay. Italien war der Kohärenz wohl nicht so wichtig.« Er las den Artikel. »Also – der Präsident, der Stabschef und etwa zehn weitere Mitarbeiter des Weißen Hauses sind betroffen. Der Vizepräsident hat die Amtsgeschäfte übernommen und den Notstand ausgerufen. Die Nationalgarde ist ausgerückt, um Plünderungen zu verhindern. Ah, interessant! Hört her: Der Oppositionsführer hat die Regierung scharf kritisiert und es als unverantwortlich bezeichnet, dass der Präsident sich einen Lifehook-Chip habe einsetzen lassen. Antwort des Regierungssprechers: Das sei nicht der Fall; niemand im Weißen Haus trage einen Lifehook.«
Christopher musste grinsen. »Ist nicht mal gelogen. Wenn, dann waren das Upgrader-Chips. Ungebremst und volle Dröhnung.«
»Dürfte im Moment noch zu kompliziert für die Massenmedien sein«, meinte Guy und suchte weiter.
Der blaue Balken, der den Fortschritt der Suche anzeigte, ruckelte kaum merklich voran.
»Okay, schauen wir, was so gepostet und getwittert wird«, sagte Guy und klackerte eine neue URL in die Adresszeile des Browsers. Unmassen Text erschienen, die er mit raschen Bewegungen durchscrollte.
»Hmm«, sagte er nach einer Weile. »Vielleicht war ich doch ein bisschen zu optimistisch. Das liest sich, als breite sich gerade das Chaos aus.«
»Was heißt das konkret?«, fragte Serenity.
»Wie es aussieht, fürchten viele Amerikaner, dass jetzt ein Krieg ausbricht, weil die Verteidigungskräfte nicht einsatzbereit sind. Manche glauben, dass ausländische Agenten hinter allem stecken. Der da ölt sein Gewehr und ist froh, dass er Vorräte gebunkert hat.« Guy atmete geräuschvoll ein, scrollte weiter. Seine Augen huschten hin und her, saugten die Informationen nur so auf. »Dass es was mit den Lifehooks zu tun hat, vermuten viele. Besonders beliebt ist die Theorie, dass es ein Kurzschluss war, der den Leuten das Hirn versengt hat.«
Christopher musste wider Willen auflachen. »Mit körpereigener Elektrizität? Wie kann man auf eine so blöde Idee kommen?«
»Das wissen die meisten ja nicht«, sagte der PentaByte-Man. »So eindeutig ist das auch noch nicht zu erkennen. Hier schreibt jemand, er habe sich vorgestern einen Lifehook einpflanzen lassen und keine Probleme.«
Christopher hob die Schultern. »Logisch. Die Aufnahme in die Kohärenz geschieht allmählich. Am dritten Tag kann er noch gar nicht betroffen sein.«
Guy rollte lange Einträge herunter. »Oha! Da sind eine Menge, die sich ihren Lifehook nicht schlechtreden lassen wollen. Verteidigen ihn mit Schaum vor dem Mund. Einer twittert: Das hier schreibe ich von meinem Lifehook aus, ohne einen Finger zu bewegen! Was sagt Ihr jetzt, Miesmacher?« Guy grinste Serenity schief an. »Er gebraucht ein anderes Wort, aber das werde ich in Gegenwart junger Damen nicht aussprechen.«
Serenity verdrehte die Augen. Schien sie nicht so witzig zu finden. »Wie machst du das überhaupt?«, wollte sie wissen. »Du kannst doch nicht mal eben sämtliche Tweets
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