Kohärenz 03 - Time*Out
durchsehen. Das müssen doch Millionen sein!«
»Richtig«, sagte Guy, »und die muss ich tatsächlich nicht alle lesen, weil in New York ein paar Hochleistungscomputer stehen, die das für mich machen. Die gehören einer Firma, die sämtliche Kurznachrichten sämtlicher Dienste scannt und aktuelle Stimmungen und Trends herausfiltert. Ist eigentlich für die Börse gedacht und schweineteuer, aber wozu ist man Hacker, hmm?«
Christopher ließ seinen Schirm nicht aus den Augen. Der blaue Balken stand schon eine ganze Weile still. Hoffentlich fiel deren System jetzt nicht aus!
Guy wühlte sich weiter durch Berge ausgesuchter Kurznachrichten, las ihnen vor, was ihm auffiel. »Eine SMS von einem Typen, der in einer Fernsehredaktion arbeitet. Er schreibt, alle im Sender außer ihm säßen herum wie vom Schlag getroffen. Kommt sich vor wie im Horrorfilm.« Er hob den Kopf. »Kann ich verstehen. Mir hat das am Strand schon gereicht. Und da waren es nur zwei oder drei.«
»Wie ich es gesagt habe«, sagte Christopher. »Die Kohärenz hat die Medien im Griff gehabt. Zumindest die maßgeblichen.«
»Genau.« Guy überflog ein paar Seiten voller Text. »Oho. Das sieht nicht gut aus. Massenhaft verzweifelte Postings von Leuten, die vergeblich auf Krankenwagen warten. In die Notrufzentralen kommt man kaum noch durch ... Hier ein Tweet von jemandem, der in London Heathrow festsitzt. Sämtliche Flüge gecancelt, schreibt er. Aus Sicherheitsgründen haben Flugzeuge, die in der Luft sind, Anweisung, auf dem nächstgelegenen Flughafen zu landen. Ah, und einer in Paris am Gare du Nord, der sinngemäß dasselbe gepostet hat. Im FriendWeb übrigens. Alle Zugverbindungen bis auf Weiteres eingestellt, Bahnangestellte verteilen Hotelgutscheine, solange der Vorrat reicht.«
Christopher furchte die Stirn. »Was läuft da? Die Kohärenz ist erledigt, und als Ergebnis geht die Welt aus den Fugen?«
»Na ja«, meinte Guy. »Du musst zugeben, das ist eine Art von Bedrohung, mit der man nicht gerechnet hat. Kein Krieg, kein Erdbeben, kein Angriff aus dem All...«
Serenity beugte sich über Guys Schirm, studierte die angezeigten Postings. »Niemand benutzt das Wort ›Kohärenz‹«, stellte sie fest. »Dabei sollte doch jeder Dads Artikel bekommen haben.«
»Der gilt als Verschwörungstheorie. Damit will keiner in Verbindung gebracht werden.« Christopher verfolgte den blauen Balken auf seinem Schirm. Er glitt auf hundert Prozent zu. Er atmete auf. »Okay. Ich hab die Suchergebnisse.«
Es war eine Liste mit zwölf Fundstellen, alle zwischen zwei und vierzehn Stunden alt.
Die beiden beugten sich zu ihm herüber. »Lass sehen«, sagte Serenity.
Christopher klickte die Aufnahmen durch. Elf davon waren falscher Alarm, zeigten Frauen, die seiner Mutter nur ähnelten. Doch die zwölfte war ein Treffer. Seine Mutter, eindeutig. Er ließ den Ausschnitt ablaufen. Das Bild bewegte sich ruckartig, weil nur alle drei Sekunden ein Bild gespeichert wurde, aber das genügte. Man sah sie auf ein Gebäude zugehen. Irgendwie überraschte es Christopher nicht, dass es sich dabei um das Emergent Building handelte.
»Ist sie das?«, fragte Guy.
»Ja«, sagte Christopher. Er rechnete die angezeigte Uhrzeit in mitteleuropäische Sommerzeit um. »Sie hat das Gebäude um fünfzehn Uhr achtunddreißig betreten. Etwas mehr als eine halbe Stunde, bevor die Kohärenz kollabiert ist. Das heißt, sie ist höchstwahrscheinlich immer noch dort.«
Guy hob die Hand. »So dramatisch ist das trotzdem nicht. In dem Gebäude sitzen an die vierzig verschiedene Firmen. Da werden genügend Leute darunter sein, die nicht betroffen sind. Die haben bestimmt mitgekriegt, was los ist, und machen sich ihre Gedanken, wenn sie von nebenan nichts mehr hören.«
Christopher starrte den Schirm an. Das klang plausibel. Trotzdem hatte er ein blödes Gefühl dabei, einfach nichts zu tun.
»Vierzig Firmen?«, wiederholte er. »Plus minus fünf«, sagte Guy.
Christopher zog den Computer zu sich heran, suchte im Internet nach dem Handelsregister von London. Dort musste er nichts hacken: Das war allgemein zugänglich, zumindest der Teil, den er brauchte.
Es dauerte keine zwei Minuten, bis er die aktuelle Liste der Firmen hatte, die im Emergent Building gemeldet waren.
»Tja. Ist nicht mehr ganz so«, stellte er fest. »Ich finde nur noch Einträge für Niederlassungen folgender Firmen: A.D. Winston Cyberware, San Francisco. Mitsu Care Products, Japan. Coherent Technologies, Singapur.
Weitere Kostenlose Bücher