Kohärenz 03 - Time*Out
Decke hinten im Kofferraum; Christopher dachte daran zurück, wie er sich einmal eine Nacht lang darunter versteckt, ja sogar geschlafen hatte. Er betrachtete die Motorhaube und fragte sich, wann und wo Kyle die eigentlich hatte austauschen lassen; von den Einschusslöchern, die sie damals abgekriegt hatten, war nichts mehr zu sehen.
Sie begegneten kaum einem Fahrzeug. Christopher wusste nicht genau, wohin sie fuhren, es war ihm auch egal. Richtung Süden, hatte er das Gefühl.
»Hier probieren wir es«, sagte Kyle irgendwann – nach Stunden, kam es Christopher vor – und bog in eine schlafend daliegende Wohnsiedlung ab.
Nachts hatte natürlich keine Bibliothek offen und auch kaum ein Internet-Café. Deswegen hatte Christopher einen Laptop dabei und Kyle eine Karte, auf der ungeschützte WLANs verzeichnet waren, die die Hide-Out-Leute auf ihren diversen Touren entdeckt hatten. Wobei solche Informationen rasch veralteten; sie würden also Glück brauchen.
Willkommen in Lankton Height! stand auf einem süßlich bunten Schild am Ortseingang. Sie passierten Villen in mexikanischem Stil, die einander zum Verwechseln ähnelten. Jedes Grundstück war von weißen, schindelgedeckten Mauern umgeben, hinter denen sich Palmen im nächtlichen Wind wiegten. Durch Gittertore erspähte man teure Limousinen. Kyles Wagen mit seinem Motor, der klapperte, als wolle irgendwas jeden Augenblick abfallen – das Auspuffrohr etwa –, war hier ein regelrechter Fremdkörper.
Aber die Häuser lagen alle dunkel da und auf der Straße war niemand unterwegs.
Christopher klappte seinen Laptop auf, während sie langsam die Straße entlangrollten. »Okay, ich hab einen Zugang«, sagte er, als das Symbol auf dem Schirm erschien, das einen ungeschützten Internet-Anschluss anzeigte.
Kyle hielt am Straßenrand und stellte den Motor ab. »Dann leg los.«
»Bin schon dabei.«
Der Motor knackte leise. Kyle raschelte mit der Karte, trug Datum und Uhrzeit ein. Christopher hatte das Gefühl, dass er ungeduldig war, so schnell wie möglich zurück nach Hide-Out wollte: super Voraussetzung, um einen anspruchsvollen Hack in Angriff zu nehmen.
Doch ein paar Minuten später war es, wie es immer war: Christopher vergaß Zeit und Raum, tauchte ein in die Welt der Daten und nahm vom Rest nichts mehr wahr.
Er begann damit, sich eine Übersicht zu verschaffen, was über das Smartphone des Präsidenten bekannt war. Das meiste war belangloses Blabla, aber er fand auch ein paar Artikel, die tiefer in die Materie einstiegen.
Die Gefahren, vor denen das Staatsoberhaupt geschützt werden musste, waren im Wesentlichen folgende: Erstens durfte niemand die Telefonate des Präsidenten abhören oder dessen sonstige Gespräche belauschen, indem er sich in das Gerät hackte und es zur Wanze umfunktionierte. Zweitens galt es zu verhindern, dass Unbefugte Zugriff auf das mit dem Smartphone verbundene E-Mail-Postfach bekamen. Das war für sich bereits technisch anspruchsvoll. Die gesetzliche Vorschrift, dass der gesamte Schriftverkehr eines Präsidenten – wozu natürlich auch seine E-Mails zählten – aufbewahrt und archiviert werden musste, machte die Sache nicht einfacher.
Dritter Risikofaktor war die Möglichkeit, anhand des Mobiltelefons den Aufenthaltsort des Präsidenten zu bestimmen: einerseits über GPS – das konnte man umgehen, indem man das GPS-Modul abschaltete, zumal ein Präsident kaum je in die Situation kam, über sein Mobiltelefon nach der nächstgelegenen Pizzeria suchen zu müssen. Nicht abschalten ließ sich dagegen die normale Lokalisierung der Funkzelle, in der sich das Telefon aufhielt: Denn dann wäre das Telefon nicht mehr mobil gewesen.
Viertens konnte natürlich auch das Telefon eines Präsidenten verloren gehen. Es galt zu verhindern, dass geheime Informationen, die sich in dem Gerät befanden, in unbefugte Hände gerieten.
Um all diese Risiken zu vermeiden, hatten die Präsidenten bis George W. Bush auf Mobiltelefone verzichtet und auch keine E-Mails geschrieben. Erst Präsident Obama hatte angeordnet, technische Lösungen zu finden, weil er nicht auf ein Smartphone verzichten wollte. Er hatte eine Spezialanfertigung bekommen, deren Entwicklung achtzehn Millionen Dollar verschlungen hatte. Dasselbe Gerät, das pro Stück über dreitausend Dollar kostete, wurde auch von Mitgliedern der Geheimdienste und des Verteidigungsministeriums verwendet.
Der springende Punkt für Christopher war: Das Smartphone des Präsidenten war nicht dafür
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