Kokoschanskys Freitag
nicht die Konzentration, eher schärfen sich alle Sinne, und die Anspannung des gesamten Körpers ist nahezu schmerzhaft überall zu verspüren. Jedes Mal, wenn der Zustand sich bemerkbar macht, geschieht Unvorhersehbares, Außergewöhnliches, Unheimliches, Schreckliches.
Und wieder nichts eingesteckt! Ausgerechnet jetzt muss seine Waffe im Nachtkästchen liegen. Kokoschansky möchte sich am liebsten ohrfeigen. Es ist zwar nur eine Gaspistole, aber besser als nichts. Meist trägt er das Ding mit sich herum, wenn er merkt, die Lage könnte bedrohlich werden. Er horcht an seiner Wohnungstür. Nichts regt sich, nichts ist zu hören. Alle möglichen irren und wirren Bilder schießen kreuz und quer durch seinen Kopf. Kurz entschlossen steckt er den Schlüssel ins Schloss. Länger warten ist sinnlos. Es ist erst kurz vor neunzehn Uhr und bis Lena nach Hause kommt, vergeht zu viel Zeit, was immer ihn nun hinter der Tür erwartet. Vorsichtig dreht er den Schlüssel um, drückt leise die Tür auf. Auf den ersten Blick nichts, was seine Aufmerksamkeit erregt. Alles steht an seinem Platz .
„Frau Kubela? ... Franziska? ....“
Kein Kinderlachen, kein Gebrabbel, kein Laut, unerträgliche Totenstille . Kokoschanskys Mund ist total ausgetrocknet, die Kehle ausgedörrt. In der Küche nichts, nur das Frühstücksgeschirr steht gespült und abgetrocknet auf der kleinen Anrichte. Sicherheitshalber bewaffnet er sich mit einem großen Messer. Das Wohnzimmer ist ebenfalls wie immer. Hier stehen die zwei großen Reisetaschen von Irmgard Kubela, ihr Bettzeug auf der Couch i st fein säuberlich zusammengelegt. Weg sind sie also nicht. Doch wo dann? Kokoschansky drückt die Türklinke zu seinem Arbeitszimmer. Noch immer versperrt. Ein gewisses Restmaß an Misstrauen gegenüber Kubela hat er sich trotz seiner Bereitwilligkeit und Gastfreundschaft dennoch erhalten. Da drinnen ist sein eigener kleiner und heiliger Kosmos, wo nur er bestimmt und niemand anderer. Außerdem gibt es genügend Material darin, das nicht für Fremde bestimmt ist. Er setzt seinen Kontrollgang weiter fort, ständig nach den beiden rufend, um die bedrückende Stille zu ertragen. Leider erfolglos. Niemand antwortet. Auch in Bad und Toilette ist nichts verändert. Vielleicht sind seine Ängste total unbegründet? Vielleicht ist es nur seine immer dann aufkeimende Paranoia, wenn er sich in einer Geschichte verstrick t hat und fieberhaft nach einer Möglichkeit sucht, den gordischen Knoten zu lösen, die ihm einen Streich spielt?
Im Schlafzimmer werden es sich die beiden wohl nicht gemütlich gemacht haben. Langsam geht Kokoschansky, trotz seines unguten Gefühls, dieses Versteckspiel auf die Nerven.
***
„ Kannst du mir mal einen Döner machen?“, fragt Freitag. „Mit viel Zwiebel. Ansonsten mit allem Drum und Dran. Ach, und eine Cola, bitte.“
Freitag lehnt sich in der kleinen Kebab-Bude an die Theke und beobachte t den Mann dahinter, der den Imbiss zubereitet. An einem der drei Tische, mehr haben in diesem Lokal nicht Platz, betrachten zwei Türken mit einer Mischung aus Neugier und Ablehnung den Schwarzen. Selten verirrt sich ein Dunkelhäutiger hierher, obwohl der Brunnenmarkt in Ottakring, im sechzehnten Wiener Gemeindebezirk, seit Jahrzehnten ein multikulturell es Viertel ist. Und Freitag ist alles andere als eine unauffällige Erscheinung. Wortlos schiebt der Türke, der den Laden im Alleingang führt, das Gewünschte über den Tresen zu Freitag hin.
„Danke.“ Freitag beißt genussvoll in den Döner, obwohl er diesen Fraß überhaupt nicht ausstehen kann. Dafür lügt er wie gedruckt. „Hmmm, lecker.“
Der Ladeninhaber nimmt davon keinerlei Notiz. Überhaupt scheint ihn nicht zu interessieren, was rund um ihn vorgeht. Seine Bewegungen sind mechanisch und sein unrasiertes Gesicht mit dem dichten Bartwuchs völlig ausdruckslos. Freitag ist sich sicher einen Volltreffer gelandet zu haben.
„Selten einen so exzellenten Döner verdrückt“, strahlt er und nimmt einen Schluck Cola. „Du bist ein richtiger Experte“.
Der Kebab-Mann ignoriert den Schwarzen weiterhin.
„Ach, ich bin doch ein Sautrottel!“, zieht Freitag weiter seine Show ab. „Ich bin so etwas von unsensibel! Entschuldige, tut mir echt leid, was mit deinem Bruder passiert ist. Schlimme Sache, was da mit Erkan angestellt wurde. Zuerst ein Held und dann das.“
Bei den letzten Sätzen sind nun auch die beiden Türken hellhörig geworden, stoßen sich gegenseitig an und
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