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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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würden er, Leo und Lasar in zwei Tagen nach Moskau zurückkehren. Timur wurde klar, dass das, was er gerade auf dem Schiff erlebt hatte, noch der leichteste Teil ihrer Mission gewesen war.
    Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Hinter ihm standen der Kapitän der Stary Bolschewik und ein Mann, den Timur noch nie gesehen hatte. Nach der Qualität seiner Uniform zu urteilen, war er ein hochrangiger Beamter. Überraschend für einen Mann in einer solchen Machtposition war er außergewöhnlich dünn, beinahe sträflingsdürr, eine merkwürdige Solidarität mit den Männern, die er beaufsichtigte. Timurs erster Gedanke war, dass der Mann krank sein musste. Als der Beamte zu sprechen begann, nickte der Kapitän bereits unterwürfig, ehe der andere seinen Satz beendet hatte.
    »Ich heiße Abel Present und bin hier der Regionaldirektor. Der Beamte Genrich ...«
    Er wandte sich an den Kapitän. »Wie war noch mal sein voller Name?«
    »Genrich Duwakin.«
    »Ich höre, er ist tot.«
    Als der Name des Mannes fiel, den er an Deck dem Tod überlassen hatte, spürte Timur einen Kloß im Hals.«
    »Ja. Er ist auf See verschollen.«
    »Genrich gehörte zur Stammbesatzung des Schiffes. Jetzt benötigt der Kapitän Wärter für die Rückfahrt. Es herrscht ein chronischer Mangel. Der Kapitän hat erwähnt, dass Sie sich an Bord während der Meuterei prächtig geschlagen haben. Er hat persönlich darum gebeten, dass Sie Genrichs Posten übernehmen.«
    Der Kapitän lächelte, er erwartete, dass Timur dies als Kompliment auffassen würde.
    Timur dagegen stieg vor Schreck die Röte ins Gesicht. »Ich verstehe nicht.«
    »Sie sollen für die Rückfahrt an Bord der Stary Bolschewik bleiben.«
    »Aber ich bin doch dem Gulag 57 zugeteilt. Ich soll Stellvertretender Lagerkommandeur werden. Moskau hat mir wichtige Instruktionen erteilt, die ich umsetzen soll.«
    »Das verstehe ich voll und ganz. Und Sie werden auch wie geplant im Gulag 57 stationiert werden. Wenn das Wetter mitspielt, dauert es bis Buchta Nachodka sieben Tage und noch einmal sieben Tage zurück. In zwei, spätestens drei Wochen treten Sie Ihren neuen Posten an.
    »Genosse, ich muss darauf bestehen, dass ich meine Befehle ausführe und Sie sich jemand anderen suchen.«
    Present wurde ungehalten, wie ein Warnsignal traten seine Adern hervor. »Genrich ist tot. Der Kapitän hat darum gebeten, dass Sie ihn ersetzen. Ich werde meine Entscheidung Ihren Vorgesetzten erläutern. Die Angelegenheit ist damit erledigt. Sie bleiben auf dem Schiff.«

Moskau

    Am selben Tag

    Malysch stand neben seinem Ankläger Lichoi, dem Kerl, dem er die Sehne durchtrennt hatte. Das Fußgelenk des Mannes war dick verbunden, und wegen des starken Blutverlusts war er blass und hatte Fieber. Doch er hatte darauf bestanden, dass die schodka, ein Schiedsgericht zwischen streitenden Bandenmitgliedern, stattfand.
    »Frajera, was ist mit unserem Gesetz, dass keiner von uns wory einem anderen etwas zufügen darf? Indem er mich verletzt hat, hat er dich beschämt. Er hat uns alle beschämt.«
    Lichoi stützte sich auf eine Krücke. Er hatte sich nicht hinsetzen wollen, weil das ein Zeichen der Schwäche gewesen wäre. Schaum stand ihm in den Mundwinkeln, kleine Speicheltropfen. Zeichen seiner Empörung, die er nicht weggewischt hatte. »Ich wollte Sex. Ist das etwa ein Verbrechen? Nicht für einen Verbrecher.«
    Die anderen wory grinsten. Lichoi, der sich ihrer Unterstützung gewiss war, wandte sich wieder Frajera zu. Er senkte respektvoll seinen Kopf und sprach leiser weiter.
    »Ich verlange den Tod von Malysch.«
    Frajera wandte sich Malysch zu. »Deine Antwort?«
    Der Junge warf einen verstohlenen Blick auf die ihn umringenden Gesichter, dann zuckte er die Achseln. »Mir wurde gesagt, ich soll aufpassen, dass ihr nichts passiert. So lautete dein Befehl. Ich habe getan, was mir befohlen wurde.«
    Noch nicht einmal die Aussicht seines möglichen Todes machte ihn gesprächiger. Obwohl Malysch überzeugt war, dass Frajera seinen Tod eigentlich nicht anordnen wollte, blieb ihr nur wenig Spielraum. Er hatte das Gesetz gebrochen, daran gab es nichts zu deuteln. Es war jedem Bandenmitglied verboten, einem anderen ohne Frajeras Erlaubnis etwas anzutun. Sie sollten einander beschützen, so als sei das Leben des einen mit dem des anderen verwoben. In eindeutiger Missachtung dieser Regel hatte er impulsiv gehandelt und mit der Tochter ihres Feindes gemeinsame Sache gemacht.
    Malysch sah zu, wie Frajera im Kreis ihrer

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