Komm mit mir nach Kreta
Und was, wenn Eleni sie allen Erklärungen zum Trotz weiterhin als Mutter betrachtete? Sie konnte und wollte nicht den Platz einer Toten übernehmen. Und dabei dachte sie weniger an Eleni als vielmehr an ihren Vater. Sophie warf ihm einen Blick zu und stellte fest, dass er sie gespannt beobachtete. Da war es wieder. Dieses Gefühl, dass eine unwiderstehliche Macht sie zu ihm hinzog, als würde ihr eigener Wille außer Kraft gesetzt, sobald er in ihrer Nähe war. Und Sophie war nicht dazu gerüstet, sich dieser Anziehungskraft zu entziehen. Das beunruhigte und ängstigte sie mehr, als sie sich eingestand.
„Eine kleine Störung ihres Alltags wird Eleni sicher nicht schaden. Wir müssen es doch ausnutzen, dass du bei uns bist, Sophie.“ Sein Blick fiel auf ihren Mund, verweilte dort einen Moment zu lange. Dann sah Costas ihr tief und eindringlich in die Augen.
Sophies Herz schlug schneller, und sie konnte kaum noch atmen. Die Luft im Zimmer war wie elektrisiert. Sie beugte sich vor und stellte ihre Tasse auf den Couchtisch zwischen ihnen. Ihre Hand zitterte. Schnell stand sie auf, fest entschlossen, das Gespräch auf ein einfaches unverfängliches Thema zu lenken. „Du hast ein wunderschönes Haus.“
„Freut mich, dass es dir gefällt, Sophie.“
Durch ein gewaltiges Panoramafenster fiel der weiche goldene Sonnenschein eines wunderbaren Spätnachmittags und tauchte das Zimmer in diffuses Licht. Sophie konnte Costas’ Gesicht nur undeutlich sehen, meinte aber, spöttische Belustigung darin zu erkennen. Aber nein. Costas konnte unmöglich erraten haben, dass es sie gleichzeitig ängstigte und erregte, mit ihm allein zu sein.
Sie ging zu der geschwungenen Glasscheibe, die so groß war, dass sie eine ganze Wand einnahm. Vermutlich war es ein teures architektonisches Meisterwerk. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagte Sophie und bemerkte, wie schwach und atemlos sie klang. „Es ist modern und ausgefallen und passt sich dennoch der Umgebung an.“ Großartig, Sophie!, dachte sie selbstkritisch. Diese scharfsinnige Bemerkung über sein Haus hat ihm sicher noch gefehlt. Wahrscheinlich war der Bau in jeder renommierten Architekturzeitschrift groß besprochen worden.
„Ein Schulfreund hat das Haus entworfen“, erwiderte Costas. „Er kennt mich gut und wusste, was ich wollte. Das hat ihm die Aufgabe leichter gemacht.“
Vor Sophie erstreckte sich ein alter, von einer Trockenmauer umgebener Olivenhain, der zum Meer hin abfiel. Dahinter glitzerte das Wasser einer kleinen Bucht, die an beiden Seiten von felsigen Landspitzen eingeschlossen war. Es war ein friedlicher verlockender Anblick. Nirgendwo waren andere Häuser zu sehen. Wenn man so reich wie Costas Palamidis war, brauchte man dieses Paradies wohl nicht mit Nachbarn zu teilen.
„Das ist ein schwerer Seufzer“, sagte Costas plötzlich direkt hinter ihr. „Geht es dir wirklich gut?“
Einen Moment lang war Sophie wie erstarrt, dann drehte sie sich zu ihm um. „Ja. Ich bin nur müde.“
„Natürlich. Es war eine lange Reise. Komm, ich zeige dir dein Zimmer.“
Seine Stimme klang so kühl und gleichgültig. Hatte sie sich den brennenden Blick von vorhin nur eingebildet? Sophie musterte ihn verstohlen, während sie aus dem Wohnzimmer in die Eingangshalle traten. Seine Miene war streng und beherrscht, er sah so hart und unerbittlich aus wie bei ihrer ersten Begegnung in Sydney. Der schnelle Wechsel von glühender Leidenschaft zu kühler Reserviertheit brachte Sophie völlig aus der Fassung. Bei diesem Mann würde sie sich niemals sicher sein können.
„Warum hast du mir verschwiegen, dass ich wie meine Cousine aussehe?“, platzte es aus ihr heraus, als sie die geschwungene Marmortreppe emporgingen.
Costas zuckte die Schultern. „Es war nicht wichtig.“
Nicht wichtig? Immerhin war die Ähnlichkeit so groß, dass sie Eleni getäuscht hatte. Sophie blieb stehen und umklammerte das Geländer.
Einige Stufen über ihr hielt er an, drehte sich um und blickte zu ihr hinunter. „Ich hätte es dir sagen sollen, aber, wie ich dir bereits erklärt habe, mir ist nicht in den Sinn gekommen, dass Eleni so reagieren würde. Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen.“
Sophie nahm seine verschlossene Miene in sich auf, den ausdruckslosen Blick, und fragte sich plötzlich, wie es wohl für Costas gewesen war, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Sie musste ihn doch auch sofort an seine verstorbene Frau erinnert haben.
Natürlich. Und vielleicht
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