Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
schälen, raus aus dem geschmackvoll eingerichteten Zimmer, sich eine Ausrede ausdenken und flüchten. Sie lässt sich in die Kissen zurücksinken.
Der letzte Abend mit Dan. Bei ihm zu Hause. Er stand am Grill, sie machte den Salat. Er erzählte Rosie von ihrem Jagdausflug und übertrieb maßlos, um Stephanie zu ärgern diese Frau wollte die ganze Zeit nur faul in der Sonne rumliegen. Ich musste die ganze Arbeit allein machen. Rosie wollte von Stephanie ins Bett gebracht und zugedeckt werden. Sie sollte ihr etwas vorlesen. Bevor sie das Licht ausknipsten, schlang Rosie Stephanie ihre dünnen, gelenkigen Ärmchen um den Hals, um sie fest zu drücken.
Sie warteten, bis Rosie eingeschlafen war. Sie schlichen durchs Haus, krochen in Dans Bett und schliefen miteinander.
»Warum musst du fort?«
»Ich muss etwas erledigen.«
»Was?«
»Zum einen will ich meinen Vater und meinen Bruder besuchen.«
Er legte sich auf sie, hielt sie fest, drückte sein Gesicht an ihren Hals. »Sag ihnen, du könntest nicht kommen. Sag ihnen, ein Neandertaler würde dich in seiner Höhle gefangen halten.«
»Ich bin ihnen einen Besuch schuldig.«
»Warum?«
»Ach, das hat viele Gründe.«
Es stimmt, sie ist Dave und Greg tatsächlich einen Besuch schuldig. Ganz besonders Dave. Sie hat immer gewusst, wie sehr es ihn verletzte, dass sie ihn nie besuchen kam, aber er hat sich nie beschwert, hat nie etwas von ihr verlangt. Hat sie in der Stadt besucht, wann immer es ging, hat ihr Geld geschickt, wann immer er konnte. Sie hat ihn alleingelassen mit der Aufgabe, die Jungen großzuziehen. Um die Familie zu trauern, die sie einmal waren.
Es ist an der Zeit, sich zu revanchieren. Sie darf nicht mehr davonlaufen. Aber genauso wenig darf sie die Zweifel und den Kummer von damals auferstehen lassen. Nicht ohne guten Grund. Also: keine Enthüllungen, keine Fragen. Sie wird so viel wie möglich herausfinden und sich unterdessen bedeckt halten. Sie wird durch die Weinberge wandern, mit Greg schwimmen gehen und alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihr rücksichtsloses Verhalten wiedergutzumachen.
Sie schlüpft in einen Bademantel und geht nach unten. Esther steht in der Küche.
»Kaffee? Du siehst schon viel besser aus. Hast du gut geschlafen? Ist das Bett bequem?«
»Es ist perfekt.«
Sie nimmt einen Kaffee, schlendert durchs Wohnzimmer, durchs Esszimmer, durch den Salon. Überall hängen Fotos. Dave und Esther, Stephanie, Jonny, Liam, Greg, dazu ein paar Unbekannte. Esther stellt sich neben Stephanie, die ein gerahmtes Bild studiert. Dad, Esther, Greg und eine junge Frau. Alle tragen dicke Parkas und lachen in die Kamera.
»Hübsches Foto. Wo wurde es aufgenommen?«
»Coronet Peak. Im Winter war Lucy hier, da waren wir für ein paar Tage Ski fahren.«
»Lucy?«
»Meine Tochter. Sie arbeitet momentan in Frankreich.«
»Oh, das tut mir leid. Ich kenne noch nicht einmal deine Kinder.«
»Du brauchst dich nicht zu entchuldigen, Stephanie. Du hattest noch keine Gelegenheit, sie kennenzulernen, das ist alles. Hast du das Bild von Gemma gesehen?«
»Nein.«
»Es hängt dort drüben.«
Esther führt sie ins Esszimmer, das Bild hängt über der Anrichte: ein großes, gerahmtes Schwarzweißporträt.
Gemma schaut mit ernstem, fragendem Blick in die Kamera. Sie trägt das Kleidchen mit dem Elefantensaum. Haare und Augen glänzen, ihre Haut ist makellos, die zarten Wangenknochen treten deutlich hervor. Sie wirkt älter, was vielleicht an ihrem ernsten Gesichtsausdruck liegt. In ihrem Gesicht sieht man die junge Frau, die aus ihr geworden wäre.
»Schön, nicht wahr?«
»Woher habt ihr dieses Bild? Ich glaube, ich habe es noch nie gesehen.«
»Es war Teil eines Familienfotos. Ist schon erstaunlich, was die heute aus alten Fotos machen können. Ich habe den Ausschnitt vergrößern und rahmen lassen. Als Geschenk für Dave. Ich habe es anfertigen lassen, als wir hier eingezogen sind.«
Stephanie wendet sich ab, blinzelt die Tränen weg, als der Schmerz sie würgt.
»Oh, Stephanie, es tut mir leid! Ich wollte dich nicht traurig machen.«
»Ist schon gut.«
»Sie war so ein hübsches Mädchen, oder? Das muss für euch alle eine schlimme Zeit gewesen sein.«
»Manchmal werde ich wütend, weil ich den Eindruck habe, alle machen einfach so weiter und haben sie vergessen. Dabei bin ich kein Stückchen besser. Ich habe gestern den ganzen Abend hier neben ihrem Porträt gesessen, ohne sie überhaupt zu bemerken.«
»Sie ist nicht vergessen.
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