Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
konnte. Ich musste dann raus und Gracie im Kinderwagen durch die Gegend schieben, während Dad sich um Mum gekümmert hat. Ich bin mit Gracie durch die Straßen gelaufen, und sie hat sich die Lunge aus dem Leib gebrüllt.«
Wie eine kleine Mutter. Steph ist eine kleine Mutter.
»Sie waren ein kleines Mädchen. Die Verantwortung muss schwer auf Ihnen gelastet haben.«
»Ehrlich gesagt habe ich nie darüber nachgedacht. Ich wollte nur, dass Gracie zu weinen aufhört und Mum sich beruhigt. Als Gracie dann älter war, wurde es besser, eine Zeitlang zumindest. Mum ist einer dieser Pfingstgemeinden beigetreten. Sie redete nur noch über Gott. Früher hatte sie sich immer schrecklich aufgeregt, wenn in den Nachrichten von irgendwelchen Katastrophen die Rede war, so als sei sie persönlich betroffen. Nachdem sie der Kirche beigetreten war, redete sie darüber, als stünde irgendein Plan dahinter, als passiere alles aus gutem Grund. Weil Gott alles persönlich überwachte, brauchte sie sich keine Gedanken mehr zu machen.«
»Wie fanden Sie das?«
Beth grinst trocken. »Das mit der Kirchengemeinde? Sie hat mich mitgenommen, aber es hat mir nicht gefallen. Ich war zwar nur ein Kind, doch ich konnte dem nichts abgewinnen. Aber meine Mum war glücklich, deswegen fand ich es gut.«
»Es machte Ihnen nichts aus, in die Kirche zu gehen, weil es Ihrer Mum dort besser ging?«
»Ich ließ es über mich ergehen. Dad auch. Ich glaube, er hat es genauso gesehen wie ich, er war einfach nur froh, dass es Mum besser ging. Er hätte alles getan, was sie von ihm verlangte. Eine Zeitlang war alles in Ordnung. Dad hat sich selbständig gemacht, und das Geschäft lief gut. Wir zogen in ein größeres Haus. Mum hat immer gesagt, unser Leben hätte sich zum Besseren gewendet, weil wir Gott und die Kirche entdeckt und den rechten Weg eingeschlagen hätten. Alles war anders. Wir hatten Freunde, die Leute kamen zum Essen vorbei, Mum ging es gut. Es war so, als gäbe es zuletzt doch ein Happy End. Wie durch ein Wunder hatten wir uns in eine ganz normale Familie verwandelt.«
»Sie haben sich darüber gefreut?«
»Den Gottestdienst an sich, das ganze Singen und Klatschen, fand ich, na ja, ein bisschen seltsam. Ehrlich gesagt bekam ich Angst, wenn die Gemeindemitglieder anfingen, in Zungen zu reden. Die Frauen in der Kirche waren so verdammt übereifrig, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Sie schweigt. Ihr nachdenkliches Gesicht, dieser fragende Blick – Stephanie kann geradezu sehen, wie ihr die Gedanken durch den Kopf sausen, wie sie analysiert und schlussfolgert. Beth ist clever, so unglaublich clever. Sie wird ihren Weg gehen, sie wird etwas ganz Besonderes aus sich machen, aus den Erfahrungen, die sie hier in der Klinik gesammelt hat. Verdammt, sie wird sie so vermissen!
»Da ist noch etwas. Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll. Meine Mum funktionierte besser als früher. Bevor sie der Kirche beitrat, hat sie es an manchen Tagen nicht mal geschafft, die Wäsche zusammenzulegen, manchmal kam sie gar nicht aus dem Bett. Plötzlich bewältigte sie alles, sie erledigte sogar die Buchhaltung für meinen Dad. Trotzdem hatte ich gelegentlich das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte. Manchmal war sie so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht merkte, ob da noch jemand im Zimmer war.«
»Obwohl oberflächlich alles in Ordnung war, haben Sie sich gefragt, wie es in Ihrer Mum tatsächlich aussieht?«
»Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht einfach nur für sie gefreut habe. Ich wusste nicht mehr, ob meine Beobachtungen stimmten oder ob ich mir manche Dinge einbildete oder ausdachte. Mum und Dad hatten sich mit einem Mann angefreundet, der ständig bei uns rumhing. Ich konnte ihn nicht leiden. Ich wollte nicht, dass er zu uns nach Hause kam, aber Mum hat mir deswegen ein schlechtes Gewissen gemacht. Sie hat es so hingestellt, als sei ich bloß eifersüchtig.«
»Eifersüchtig?«
»Wegen Holly. Sie war seine Freundin, und das passte mir zugegebenermaßen nicht in den Kram, weil ich ein sehr inniges Verhältnis zu ihr hatte. Aber auch sonst fand ich ihn irgendwie gruselig. Ich muss viel über ihn nachgegrübelt haben, denn zeitweise habe ich mir eingebildet, ich hätte in der Nacht, in der Gracie verschwand, seine Stimme gehört. Das war unmöglich, ich muss es geträumt haben.«
»Seine Anwesenheit hat Sie dermaßen belastet?«
»Ich mochte Holly sehr. Sie war immer so nett zu mir. Ich hielt sie für meine beste
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