Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
sollte. Sie wartete, und dann betete sie, zum ersten Mal in ihrem Leben. »Bitte,
Gott … mach, daß ein Wunder geschieht. Bitte, Gott … gib mir ein Zeichen …«
Das Gebet war intensiv und stark, ihr Glaube – der Glaube, der aus Verzweiflung geboren wird – unmittelbar und grenzenlos. Gott würde ihr antworten. Gott mußte ihr antworten. Sie wartete auf einen himmlischen Boten in weißen Gewändern, der ihr den Weg zu einem neuen Leben weisen würde. »Ich habe meine Lektion gelernt, Gott. Ich werde nie wieder selbstsüchtig sein.« Sie wartete, kniff die Augen zusammen, die Tränen rannen ihr über die schmutzigen Wangen. Sie wartete auf den Boten. Ein Bild stieg in ihr auf, zuerst ganz verschwommen, dann immer klarer. Sie erforschte die dunkelsten Nischen ihres Bewußtseins. Sie sah …
Scarlett O’Hara.
Sie sah Scarlett O’Hara im Staub liegen – selbstverständlich in Technicolor. Scarlett schrie: »Gott sei mein Zeuge, ich will nie wieder Hunger leiden!«
Francesca brach in hysterisches Gelächter aus. Typisch! dachte sie.
Und sehr passend. Andere bekamen Donnerschläge oder Engel als Antwort auf ein Gebet. Sie bekam Scarlett O’Hara.
Sie stand auf und lief ziellos weiter. Sie spürte irgend etwas in ihrer Hosentasche. Langsam zog sie es heraus. Es war ein Vierteldollar.
Sie starrte nachdenklich auf die Münze in ihrer Hand. Allein in einem fremden Land, ohne Dach über dem Kopf, möglicherweise schwanger – diese Katastrophe stand ihr noch bevor –, so stand sie auf einer einsamen Straße in Texas und hatte nichts als die Kleider, die sie am Leib trug, fünfundzwanzig Cent und eine Vision von Scarlett O’Hara.
Eine seltsame Euphorie erfüllte sie – eine Kühnheit, ein Gefühl für grenzenlose Möglichkeiten. Sie war in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Sie hatte sich selbst so satt, das, was aus ihr geworden war. Sie war bereit, ein neues
Leben zu beginnen. Hatte jemals ein Mensch so eine Chance für einen Neuanfang gehabt wie sie in diesem Augenblick? Irgend jemand in der langen Geschichte der Zivilisation?
Black Jacks Tochter sah auf die Münze in ihrer Hand und erwog ihre Zukunft. Wenn sie ganz neu anfangen wollte, durfte sie keinen Ballast aus der Vergangenheit mitschleppen. Ohne Zögern holte sie aus und schleuderte den Vierteldollar von sich.
Das Land war so weit, der Himmel so hoch, sie hörte ihn nicht wieder herunterfallen.
17
Holly Grace saß auf der grünen Bank auf dem Übungsplatz und sah Dallie zu, wie er mit dem Eisen Nummer zwei übte. Er war beim vierten Ballkorb, und immer noch drifteten seine Schläge nach rechts ab. Skeet hockte auch auf der Bank. Er hatte sich den Stetson tief ins Gesicht gezogen, um sich Dallies Mißgeschick nicht ansehen zu müssen.
»Was ist denn bloß los mit ihm?« fragte Holly Grace. Sie schob sich die Sonnenbrille hoch. »Ich weiß ja, wie er spielt, wenn er einen Kater hat, aber so schlimm war es noch nie. Er gibt sich nicht die geringste Mühe; er macht immer wieder den gleichen Fehler.«
»Du bist doch diejenige, die seine Gedanken lesen kann«, grummelte Skeet. »Also verrat du mir doch, was los ist!«
»Key, Dallie«, rief Holly Grace, »das waren die lausigsten Schläge in der ganzen Golfgeschichte! Warum vergißt du nicht die kleine Engländerin und konzentrierst dich aufs Geldverdienen?«
Dallie schlug noch einen Ball ab. »Faß dich an deine eigene Nase!«
Sie stand auf, stopfte sich das weiße Baumwollhemd in die Jeans und schlenderte zu ihm hinüber. Im Vorbeigehen brachte ihre Erscheinung einen anderen Golfer so aus dem Konzept, daß der danebenschlug. Sie lächelte ihm schelmisch zu und meinte, er sollte es mal mit dem Kopf nach unten versuchen.
Dallie stand in der Nachmittagssonne, sein Haar glänzte golden. Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Die Farmer in Dallas ziehen dir dieses Wochenende das Fell über die Ohren, Schatz. Ich gab Skeet eine funkelnagelneue Fünfzigdollarnote, damit er sie gegen dich setzt.«
Dallie schnappte sich die Bierflasche, die er zwischen den Stapel von Golfbällen geklemmt hatte. »Weißt du, was ich an dir so schätze, Holly Grace? Du munterst mich immer so auf.«
Sie umarmte ihn freundschaftlich. »Ich sag’ nur, wie’s ist, Schatz. Und im Augenblick spielst du saumäßig.« Sie trat zurück und sah ihn an. »Du machst dir Sorgen um sie, nicht?«
»Ich fühle mich für sie verantwortlich. Ich kann nicht anders. Skeet hätte sie nicht so gehen
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