Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
zugehalten hatte. Völlig erschöpft nahm sie die beiden Stufen zum Haupteingang. Auf dem Glas lag eine dicke Staubschicht. In der Mitte prangte in goldenen Lettern die Aufschrift KDSC.
Francesca rieb sich die Stirn, strich sich die Haare nach hinten und klopfte sich den Staub von den Jeans, so gut es eben ging. Gegen die Schrammen an den Armen konnte sie nichts tun. Die Euphorie von vorhin war völlig verschwunden.
Sie stieß die Tür auf und fand sich in einem Empfangsraum wieder, der mit sechs überladenen Schreibtischen vollgestellt war; diverse Uhren, Pinnwände, Kalender, Poster und Cartoons machten den Rest der Einrichtung aus. Außerdem stand da noch eine moderne dänische Couch mit völlig durchgesessenem Polster. Es gab nur ein großes Fenster, das den Blick auf einen Ansager mit Kopfhörern freigab, der hinter der Scheibe in einem Studio saß. Seine Stimme wurde über Lautsprecher übertragen, der Ton war leise gestellt.
Eine rothaarige Frau, einem Eichhörnchen nicht unähnlich, sah Francesca erwartungsvoll an. Alle anderen Schreibtische waren verwaist. »Was kann ich für Sie tun?«
Francesca räusperte sich, sie musterte eingehend die goldenen Kreuze, die vom Ohr der Rothaarigen baumelten, und ihre Polyesterbluse, danach schweifte ihr Blick zum schwarzen Telefon auf dem Tisch. Ein Anruf in Wynette würde genügen,
und sie wäre erst einmal aus dem Schneider. Essen, ein Dach über dem Kopf und Kleider zum Wechseln wären ihr auf jeden Fall sicher. Aber Dallie um Hilfe zu bitten erschien ihr jetzt nicht mehr erstrebenswert. Auf dem Weg hierher war eine Veränderung in ihr vorgegangen. Sie hatte es gründlich satt, sich wie ein Blatt im Wind hin und her wehen zu lassen, wollte mehr als nur schön sein. Sie würde ihr Leben selbst in die Hand nehmen, koste es, was es wolle.
»Kann ich bitte den Geschäftsführer sprechen?« fragte sie die Eichhörnchenfrau. Sie versuchte, kompetent und professionell zu klingen, nicht wie jemand mit schmutzigem Gesicht und staubigen Füßen und ohne einen roten Heller in der Tasche.
Daß Francesca so einen abgerissenen Eindruck machte und trotzdem mit britischem Oberklassenakzent sprach, kitzelte offenbar die Neugier ihres Gegenübers. »Ich bin Katie Cathcart, die Bürochefin. Worum geht es denn?«
Konnte eine Bürovorsteherin ihr weiterhelfen? Francesca hatte keinen blassen Schimmer. Sie blieb fest, aber höflich. »Es ist eine persönliche Angelegenheit.«
Die Frau zögerte, dann stand sie auf und verschwand in dem Büro hinter ihr. Einen Augenblick später kam sie zurück. »Falls es nicht zu lange dauert, können Sie Miss Padgett sprechen. Sie ist unsere Sendeleiterin.«
Francescas Mut sank. Warum mußte dieser Sender von einer Frau geleitet werden? Mit einem Mann hätte sie sich eine gute Chance ausgerechnet. Aber sie wollte ja ganz neu anfangen. Sie würde sich nicht mehr mit den alten Tricks durchs Leben mogeln. Mit hocherhobenem Kopf betrat sie das Büro der Leiterin.
Ein goldfarbenes Namensschild wies die Dame als Clare Padgett aus, ein eleganter Name für eine nicht sehr elegante Frau. Anfang vierzig, maskulines, kantiges Gesicht, leicht angehübscht mit einem Hauch von Lippenstift. Das angegraute
braune Haar war mittellang und schlecht geschnitten. Es wirkte nicht sehr gepflegt, obwohl es gewaschen war. Die Frau tat ein paar gierige Züge aus ihrer Zigarette.
»Was gibt’s?« fragte Clare kurz angebunden. Es war eine typische Radiostimme, klangvoll, aber nicht die Spur freundlich. Aus dem Lautsprecher erscholl der Ansager mit Lokalnachrichten.
Ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzte sich Francesca auf den einzigen freien Stuhl. Auf den ersten Blick war ihr klar, daß Clare Padgett keinen Respekt vor Menschen hatte, die alles mit sich machen ließen. Sie nannte ihren Namen. »Verzeihen Sie, daß ich unangemeldet komme. Ich möchte fragen, ob ich für Sie arbeiten kann.« Es kam nicht sehr selbstbewußt heraus. Wo war nur ihre Arroganz geblieben, die sie immer und überall wie eine Duftwolke umgeben hatte?
Clare Padgett musterte Francescas Erscheinung eingehend und wandte sich dann wieder ihrer Arbeit zu. »Ich habe keine Jobs.«
Etwas anderes hatte Francesca auch nicht erwartet, trotzdem nahm ihr diese Antwort den Wind aus den Segeln. Sie mußte an die endlose staubige Straße denken. »Sind Sie ganz sicher, daß Sie nichts für mich haben? Ich mache alles.«
Clare Padgett nahm noch einen tiefen Zug aus der Zigarette und tippte mit dem Bleistift
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