Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
zusammengehalten, die Nase war rot und verschwollen vom letzten Schnupfen. Der Mantel war ihr viel zu groß, aber sie brachte weder genügend Geld noch Energie auf, etwas für ihr Aussehen zu tun. Wenigstens ersparte ihr das lästige Anmache seitens der männlichen Kollegen.
In den letzten Wochen hatte sie wenig Glück, viel Pech gehabt. Am schlimmsten war es einen Tag vor Thanksgiving gewesen. Clare hatte erfahren, daß sie auf dem Sofa schlief, und schimpfte Francesca vor versammelter Mannschaft aus. Jetzt wohnte sie in einem Zimmer mit Kochnische über einer Garage in Sulphur City. Es war zugig, die Möbel stammten vom Sperrmüll, und die Matratze war durchgelegen, dafür kostete es nicht viel Miete, und sie konnte wöchentlich zahlen. Dafür war sie dankbar genug. Sie durfte auch den sendereigenen Wagen benutzen, obwohl Clare sie für das Benzin zahlen ließ, auch wenn jemand anders den Wagen fuhr. Sie war völlig erschöpft, lebte von der Hand in den Mund. Für finanzielle Notlagen oder persönliche Probleme blieb kein Raum – geschweige denn für eine unerwünschte Schwangerschaft.
Sie umklammerte das Steuer. Sie hatte auf alles verzichtet,
um das Geld für die Abtreibung in San Antonio zusammenzusparen. So viel verlangte die Klinik für die Beseitigung von Dallie Beaudines Baby. Sie wollte nicht über ihren Entschluß nachdenken; sie war zu arm und zu verzweifelt, um die Sache moralisch zu betrachten. Nach dem Arzttermin am Samstag wäre die nächste Katastrophe abgewendet; etwaige Bedenken wären reiner Luxus.
Sie erledigte alle Botengänge in einer Stunde und fuhr zum Sender zurück, um sich von Clare anschreien zu lassen. Warum sie nicht zuerst die Fenster ihres Büros geputzt hätte?
Am nächsten Samstag stand sie in aller Herrgottsfrühe auf und machte die zweistündige Tour nach San Antonio. Das Wartezimmer der Abtreibungsklinik war spärlich möbliert, aber sauber. Sie setzte sich auf einen Plastikstuhl, drückte die Beine fest zusammen, wie zum Schutz für das kleine bißchen Protoplasma, das man bald ihrem Körper entnehmen würde. Es saßen noch drei Frauen im Zimmer, zwei Mexikanerinnen und eine verhärmte Blonde, die stark unter Akne zu leiden hatte. Alle waren arm.
Eine Frau mittleren Alters, vom Aussehen her spanischer Abstammung, erschien in weißer Bluse und dunklem Rock in der Tür und rief Francesca auf. »Ich bin Mrs. Garcia«, sagte sie mit leichtem Akzent. »Würden Sie bitte mitkommen?«
Francesca folgte ihr willenlos in ein kleines, mit unechtem Mahagoni vertäfeltes Büro. Mrs. Garcia setzte sich an ihren Schreibtisch und bot Francesca einen Stuhl an.
Sie war freundlich und sachlich, als sie mit Francesca die einzelnen Fragen auf dem zu unterzeichnenden Formular durchging. Dann erklärte sie die Vorgehensweise bei dem bevorstehenden Eingriff. Francesca wollte es lieber nicht so genau wissen. Mrs. Garcia sprach langsam und ruhig, verwendete den Begriff »befruchtete Eizelle« statt »Fetus«, wofür Francesca ihr dankbar war. Sie wollte den unliebsamen Eindringling in ihrer Gebärmutter nicht als menschliches Wesen
sehen, weigerte sich, eine gedankliche Verbindung zu der Nacht in den Sümpfen von Louisiana zu ziehen. Ihr Leben war nur noch nackte Existenz, für Gefühle und romantische Vorstellungen von rosa Pausbäckchen und weichem Haarflaum war hier kein Platz. Das Wort »Baby« mußte sie unbedingt verdrängen. Mrs. Garcia erklärte ihr die »Absaugmethode«, Francesca assoziierte sie mit dem alten Staubsauger, den sie Abend für Abend über den Teppich im Sendehaus schieben mußte.
»Haben Sie noch Fragen?«
Sie schüttelte den Kopf. Mrs. Garcia schob ihr einen Prospekt zu. »Hier finden Sie ein paar Informationen über Schwangerschaftsverhütung. Die sollten Sie aufmerksam lesen, bevor Sie das nächste Mal Geschlechtsverkehr haben.«
Das nächste Mal? Dallies heiße Küsse fielen ihr ein, aber die Zärtlichkeiten, die ihre Sinne so entflammt hatten, schienen wie in weiter Ferne zu liegen. Nie würde sie wieder so empfinden.
»Ich kann diese … diese Eizelle nicht behalten«, sagte Francesca plötzlich, obwohl sie keinen Anlaß hatte, ihre Handlungsweise zu rechtfertigen. »Es ist einfach undenkbar! Aber ich bin kein Unmensch. Ich habe auch Gefühle. Aber ich weiß kaum, wie ich mich selbst durchbringen soll.«
Die Frau sah sie verständnisvoll an. »Natürlich haben Sie Gefühle, Francesca. Ihr Körper gehört Ihnen, Sie haben darüber zu verfügen.«
»Mein
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