Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
–«
Francesca unterbrach ihn. »Ich muß Sie leider abhängen, Sam. Was Sie da von sich geben, ist nicht stubenrein.«
Der Zwischenfall raubte ihr den letzten Nerv. In dem Moment stellte sich schon die nächste Anruferin als Sylvia vor. »Wenn Sie das Lied ›You light up my life‹ so dämlich finden, warum spielen Sie es dann?« fragte Sylvia.
Francesca entschloß sich zur Flucht nach vorn. Sie sah das Foto von der Kosmetikerin an. »Also, Sylvia, zuerst hat mir
das Lied ja ganz gut gefallen, aber jetzt hab’ ich es satt, weil wir es mehrmals täglich bringen. Das gehört zur Programmpolitik. Wenn ich es nicht einmal in meiner Sendung spiele, könnte ich meinen Job verlieren, und um ganz ehrlich zu sein, meine Chefin kann mich sowieso nicht leiden.«
Sie sah, wie Clare auf der anderen Seite der Trennscheibe den Mund weit aufriß.
»Das kann ich gut verstehen«, meinte die Anruferin. Und zu Francescas nicht geringem Erstaunen erzählte Sylvia, wie ihr früherer Chef ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Francesca stellte ihr ein paar mitfühlende Fragen, und Sylvia antwortete offen und unbekümmert. Ganz offenbar hatte Francesca einen Nerv getroffen. Schnell bat sie alle Zuhörer anzurufen. Sie sollten ihre Erfahrungen mit Vorgesetzten schildern.
In den nächsten zwei Stunden rissen die Anrufe nicht ab.
Als die Sendung zu Ende war, kam Francesca schweißverklebt und völlig aufgekratzt aus dem Studio. Katie deutete mit dem Kopf in Richtung Direktionsbüro.
Als Francesca das Büro betrat, telefonierte Clare gerade. »Ja, ich kann Sie gut verstehen. Ganz genau! Danke für Ihren Anruf! Ja, ich werde mit ihr reden.« Sie legte den Hörer auf die Gabel und funkelte Francesca an, deren Hochgefühl schon wieder im Schwinden war. »Das war dein letzter männlicher Anrufer. Von dem du den anderen Hörern erzählt hast, er klänge ›ganz so wie ein gemeiner Kerl, der seine Frau verprügelt und sie dann Bier holen läßt‹.« Clare lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Der ›gemeine Kerl‹ ist zufällig einer unserer größten Sponsoren. Das heißt, er war es.«
Francesca wurde übel. Sie war zu weit gegangen. Sie hatte sich mitreißen lassen, einfach zu ihren Fotos gesprochen, ohne ihre Zunge zu hüten. Hatte sie denn in den letzten Monaten gar nichts dazugelernt? Wollte sie immer so weitermachen, ohne Rücksicht auf Verluste, immer mit dem Kopf durch die
Wand, und nicht an die Konsequenzen denken? Sie dachte an das neue Leben, das in ihr wuchs. »Tut mir leid, Clare. Ich wollte dich nicht reinreiten. Ich hab’ mich einfach mitreißen lassen.« Sie wandte sich zum Gehen, um ihre Wunden zu lecken.
»Wo willst du hin?«
»Zur Toilette.«
»Mein Gott! Ein kleiner Windzug wirft die Kleine glatt um!«
Francesca fuhr herum. »Zum Teufel noch mal, Clare!«
»Selber zum Teufel noch mal! Ich hab’ dir schon nach dem Demo-Band gesagt, daß du zu schnell sprichst. Ich will, daß du bis morgen dein Tempo verlangsamst, kapiert?«
»Ich spreche zu schnell?« Francesca traute ihren Ohren nicht. Gerade hatte sie einen Sponsor vergrault, und Clare schnauzte sie an, weil sie zu schnell war. Dann dämmerte ihr, was Clare sonst noch gesagt hatte. »Bis morgen?«
»Da kannst du deinen Hintern drauf wetten!«
Francesca starrte sie ungläubig an. »Aber was ist mit dem Sponsor, der dich eben angerufen hat?«
»Scheiß drauf! Setz dich, Kleines! Wir machen jetzt mal eine erstklassige Sendung.«
Innerhalb von zwei Monaten hatte sich Francescas Neunzig-Minuten-Programm eine feste Stellung erobert, war so etwas wie ein Hit des Senders geworden. Clares Animositäten wichen einer Art von Zynismus, die sie auch den anderen Moderatoren entgegenbrachte. Sie nörgelte immer noch wegen allem und jedem an Francesca herum, aber es ging immer nur um Kleinigkeiten. Bei den Kommentaren vor eingeschaltetem Mikrofon ließ sie Francesca freie Hand, egal wie spektakulär es war. Manchmal brachte Francescas Spontaneität den Sender in Schwierigkeiten, aber Clare wußte genau, was gut war. Sie hatte nicht die geringste Absicht, die Gans zu töten, die die
goldenen Eier legte. Die Sponsoren bemühten sich um Sendezeit in Francescas Show, und ihr Gehalt wurde auf einhundertfünfunddreißig Dollar die Woche erhöht.
Zum ersten Mal in ihrem Leben erntete Francesca die Früchte ihrer Arbeit und dementsprechende Befriedigung. Es freute sie ungemein, daß ihre Kollegen sie mochten. Die Pfadfinderinnen baten sie,
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