Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
wirkte wie ein Foto aus der Zeitschrift »House and Garden«. Da Francesca sich aber weigerte, ein Kind in einem stilvollen Foto aufwachsen zu lassen, hatte sie das Werk ihres Innenarchitekten teilweise sabotiert. Das Landschaftsgemälde von Hubert Robert hatte sie gegen eine Kreidezeichnung von einem knallroten Dinosaurier vertauscht (der Künstler: Theodore Day, frühe Schaffensperiode). Eine italienische Truhe aus dem siebzehnten Jahrhundert hatte Teddys aufblasbarem Lieblingssessel weichen müssen, und auf der Truhe, die jetzt an die Wand gerückt war, thronte das Mickymaus-Telefon, das Teddy und Holly Grace ihr zum einunddreißigsten Geburtstag geschenkt hatten.
Holly Grace ließ ihre Tasche auf die »New York Times« fallen und winkte Consuelo zu, der spanischen Hilfe, die sich zwar rührend um Teddy kümmerte, das schmutzige Geschirr aber immer für Francesca stehen ließ. Auf dem Sofa entdeckte Holly Grace eine etwa Siebzehnjährige, ganz in die Lektüre einer Illustrierten vertieft. Ihr Haar war gebleicht, im Gesicht trug sie eine Narbe. Holly Grace raunte Teddy zu: »Deine Mutter hat wohl schon wieder Dummheiten gemacht, was?«
»Mom hat gesagt, du darfst sie nicht erschrecken.«
»Das kommt davon, wenn ich drei Wochen nach Kalifornien
fahre.« Holly Grace packte Teddy am Arm und zog ihn in sein Zimmer, um ungestört mit ihm zu reden. Völlig entnervt fuhr sie ihn an: »Zum Kuckuck noch mal, du wolltest doch ein ernstes Wort mit deiner Mutter reden? Sie hat’s ja schon wieder getan. Ich kann’s einfach nicht fassen!«
Teddy ging zu der Schuhschachtel, in der er seine Briefmarken aufbewahrte, und fummelte am Deckel herum. »Sie heißt Debbie, und sie ist sehr nett. Aber das Jugendamt hat eine Pflegestelle für sie gefunden. In ein paar Tagen geht sie.«
»Teddy, das Mädchen geht auf den Strich. Sie hat bestimmt Einstichstellen am Arm.« Er blies die Backen auf, was er immer tat, wenn er über irgend etwas nicht reden wollte. Holly Grace stöhnte vor Verzweiflung. »Hör mal, mein Lieber, warum hast du mich nicht sofort in Los Angeles angerufen? Ich weiß, du bist erst neun, aber mit so einem hohen IQ, wie du ihn hast, könnte man mehr von dir erwarten. Zum Beispiel, daß du deine Mutter etwas mehr mit der rauhen Wirklichkeit konfrontierst. Du weißt doch, daß sie in diesen Dingen nicht einen Funken Verstand besitzt – sie läßt Ausreißer bei sich schlafen und läßt sich mit Zuhältern ein. Sie hat zuviel Herz und zuwenig Verstand.«
»Ich finde Debbie nett«, beharrte Teddy.
»Diese komische Jennifer-Type hast du auch nett gefunden, und sie hat dir fünfzig Mäuse aus deiner Pinocchio-Spardose geklaut, bevor sie das Weite gesucht hat.«
»Sie hat mir einen Zettel hingelegt, daß sie mir das Geld zurückgibt. Und sie war die einzige, die was genommen hat.«
Holly Grace sah ein, daß sie auf verlorenem Posten kämpfte. »Du hättest mich wenigstens anrufen können.«
Teddy legte sich den Deckel des Schuhkartons auf den Kopf und weigerte sich, noch ein Wort darüber zu verlieren. Holly Grace seufzte. Manchmal war Teddy vernünftig, manchmal benahm er sich genauso wie Francesca.
Eine halbe Stunde später arbeiteten sich die beiden Zentimeter
um Zentimeter durch die verstopften Straßen vor, Richtung Greenwich Village. Holly Grace freute sich schon auf ihr Abendessen mit dem gutgebauten Mittelstürmer von den New York Rangers. Der wäre bestimmt gut im Bett! Schade, daß sie es nicht ausprobieren konnte. Aids war wirklich deprimierend. Wo die Frauen endlich die sexuelle Befreiung erkämpft hatten, mußte ihnen diese furchtbare Krankheit den Spaß verderben. Sie fand es toll, sich einen Liebhaber für eine Nacht zu suchen. Wenn er ihr alles gezeigt hatte, was er konnte, warf sie ihn raus, bevor er auf ein Frühstück spekulieren konnte. Wer behauptete, Sex mit einem Fremden wäre entwürdigend, war wohl ganz wild darauf, Frühstück zu machen. Sie verdrängte die Erinnerung an einen Dunkelhaarigen, für den sie nur zu gerne Frühstück gemacht hatte. Da war sie wohl vorübergehend geistig weggetreten – die Hormone hatten ihr Urteilsvermögen beeinträchtigt.
Aids beeinflußte offenbar das Denken aller halbwegs Vernünftigen. Sogar ihr Exgatte war im letzten Jahr sexuell monogam geworden, leider mit einer Frau, die auf den Namen Bambi hörte.
»Holly Grace?« fragte Teddy aus den Tiefen des Beifahrersitzes. »Glaubst du, eine Lehrerin darf ein Kind durchfallen lassen, weil es ein doofes
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