Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
du dich aber konzentrieren, Naomi! Du bist fast so leicht zu schlagen wie meine Mom.«
Alle drei schreckten hoch, als es plötzlich dreimal laut an der Tür klopfte. »Ach, du Schreck!« sagte Naomi. »Ich kenne nur einen, der so klopft.«
»Wehe, du läßt ihn rein, solange ich hier bin!« Holly Grace sprang auf und bekleckerte sich den weißen Jogginganzug mit ihrem Erdbeer-Cocktail.
»Gerry!« kreischte Teddy und rannte zur Tür.
»Nicht aufmachen!« rief Holly Grace. »Teddy – nein!«
Zu spät. In Teddy Days Leben gab es zu wenige Männer. Er ließ sich nie eine Chance entgehen, einen zu treffen. Bevor Holly Grace ihn daran hindern konnte, hatte er schon die Tür aufgerissen.
»Hey, Teddy!« rief Gerry Jaffe und streckte ihm beide Hände entgegen. »Wie geht’s, wie steht’s, altes Haus?«
Teddy klatschte ihm zehnmal auf die Hände. »Hey, Gerry! Hab’ dich ja mindestens zwei Wochen nicht mehr gesehen. Wo hast du denn gesteckt?«
»Im Gericht, mein Kind. Hab’ ein paar Leute verteidigt, die das Atomkraftwerk in Shoreham ein bißchen beschädigt haben.«
»Und hast du gewonnen?«
»Es war ein Unentschieden.«
Gerry bereute nie den Entschluß, den er vor zehn Jahren in Mexiko gefaßt hatte. Er war in die USA zurückgekehrt, hatte sich der Polizei in New York gestellt und den Verdacht des Drogenhandels entkräftet und danach Jura studiert. Er hatte mit ansehen müssen, wie ein Studentenführer nach dem anderen die Fahne gewechselt hatte – Eldridge Cleavers Seele gehörte nur noch Jesus, Jerry Rubin hatte sich dem Kapitalismus
verschrieben, Bobby Seale ging mit Barbecue-Sauce hausieren. Abbie Hoffman interessierte sich vornehmlich für Umweltfragen, daher lag die ganze Verantwortung nun auf Gerry Jaffes Schultern. Er allein mußte die Menschen vor einem nuklearen Winter warnen und ihre Aufmerksamkeit den chromblitzenden Nudelmaschinen und Designer-Pizzas entziehen. Je schwerer Gerry die ganze Verantwortung nahm, desto mehr benahm er sich wie ein Clown.
Er küßte Naomi auf den Mund und beugte sich dann über ihren Bauch, um direkt zu ihm zu sprechen. »Hör mir gut zu, mein Kind! Die Welt ist widerlich. Bleib so lange wie möglich da drin!«
Teddy fand das umwerfend komisch und wälzte sich vor Lachen auf dem Boden. Als er sich der Aufmerksamkeit der Erwachsenen sicher sein konnte, steigerte er sich immer mehr hinein. Naomi war der Ansicht, man müsse Kindern unbedingt ihren Willen lassen. Holly Grace war da zwar ganz anderer Meinung, fühlte sich aber durch Gerrys Anwesenheit zu abgelenkt, um Teddy zurechtzuweisen.
1980, kurz nach bestandenem Examen, hatte Gerry den Afro-Look aufgegeben, trug das Haar aber immer noch lang. Die dunklen Locken waren jetzt von Silberfäden durchzogen. Unter der Lederjacke trug er seine normale Arbeitskleidung – ausgebeulte Khakihosen und einen Baumwollpullover. Ein Button mit der Aufschrift »Atomkraft – nein danke!« zierte sein Revers. Der Mund war immer noch voll und sinnlich, die Nase so kühn wie eh und je, die Zelotenaugen leuchteten immer noch vor innerem Feuer. Gerade diese Augen waren Holly Grace zum Verhängnis geworden, als sie sich vor einem Jahr auf einer von Naomis Partys mit Gerry in einer Nische wiedergefunden hatte.
Holly Grace dachte immer noch angestrengt darüber nach, wieso sie sich ausgerechnet in ihn verliebt hatte. Bestimmt nicht wegen seiner politischen Ansichten. Sie war von der Notwendigkeit
einer starken militärischen Präsenz der USA überzeugt, was ihn wiederum fuchsteufelswild machte. Sie hatten erbitterte politische Auseinandersetzungen, die in der Regel im Bett endeten. Und Gerry, der schon in aller Öffentlichkeit wenig Hemmungen zeigte, kannte noch weniger in der Liebe.
Aber es war nicht nur sexuell. Er war wie sie sehr sportlich: In den drei Monaten, die ihre Beziehung gedauert hatte, waren sie in einem Fallschirmkurs gewesen, hatten sich zusammen im Bergsteigen versucht und sogar im Drachenfliegen. An seiner Seite war das Leben ein Rausch, ein einziges Abenteuer. Sie liebte an ihm die Fähigkeit zur Leidenschaft, seinen Eifer und die sinnliche Gier, mit der er aß, sein unbekümmertes Lachen, seine grenzenlose Sentimentalität. Einmal hatte sie ihn überrascht, wie er vorm Fernsehschirm über einen Werbespot weinen mußte. Sie liebte sogar seinen männlichen Chauvinismus. Dallie war wirklich ein sehr emanzipierter Mann, obwohl er immer den guten alten Jungen herauskehrte. Gerry hielt dagegen an verstaubten
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