Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
neu.«
»Sie bricht sich noch mal das Genick, wenn sie nicht endlich
aufhört, auf Leitern rumzuklettern«, grummelte Dallie. Dann meinte er zu Francesca: »Benimm dich gefalligst, Francie! Red bloß nicht wieder so dummes Zeug!«
War sie ein Kind oder seine Geliebte? Bevor sie sich revanchieren konnte, flog die Tür auf, und eine bizarre alte Dame erschien. Sie rannte auf sie zu, der graue Pferdeschwanz flatterte im Wind, die Lesebrille hüpfte an einer goldenen Kette auf und ab. »Dallas! Skeet! Ach du liebe Zeit!«
Dallie kletterte aus dem Wagen und umarmte den kleinen, mageren Körper, der in einem leuchtendgelben Trainingsanzug steckte. Dann war Skeet an der Reihe.
Francesca tauchte aus dem Fond des Wagens auf und sah dem Treiben neugierig zu. Dallie hatte gesagt, seine Mutter sei tot. Wer war das also? Seine Großmutter? Soweit sie wußte, war doch eine Frau namens Holly Grace Dallies einzige Verwandte. Das konnte doch wohl nicht Holly Grace sein. Irgendwie hatte sie den Eindruck vermittelt bekommen, Holly Grace sei seine Schwester. Und diese exzentrische alte Dame würde wohl kaum mit einem Autohändler aus Tulsa in einem Motel auftauchen. Die Katze schlüpfte aus dem Wagen, sah sich mißmutig um und verschwand unter der Treppe.
»Und wer ist das, Dallie?« wollte die Frau mit Blick auf Francesca wissen. »Stell mich bitte deiner Freundin vor!«
»Das ist Francie … Francesca«, korrigierte sich Dallie. »Der alte Scott Fitzgerald hätte sich in sie verliebt, Miß Sybil. Falls sie Schwierigkeiten macht, sagen Sie’s mir sofort.« Francesca funkelte ihn böse an, aber er ignorierte es und fuhr fort: »Miß Sybil Chandler … Francesca Day.«
Die kleinen braunen Augen sahen Francesca forschend an, sie fühlte sich bis auf den Grund ihrer Seele durchschaut. »Wie geht es Ihnen?« fragte sie höflich. »Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Miß Sybil strahlte, als sie den Akzent erkannte, und schüttelte ihr freudig die Hand. »Francesca, Sie sind Engländerin!
So eine angenehme Überraschung. Lassen Sie sich nicht von Dallie beirren. Er wickelt alle ein mit seinem Charme, aber er ist ein Gauner. Lesen Sie Fitzgerald?«
Francesca hatte den Film »Der große Gatsby« gesehen, ob das zählte? »Leider nicht. Ich lese nicht viel.«
Miß Sybil schnalzte mißbilligend mit der Zunge. »Na, das werden wir bald ändern! Bringt das Gepäck rein, Jungs. Hast du Kaugummi im Mund, Dallas?«
»Ja, Ma’am.«
»Weg damit, bevor du das Haus betrittst. Und nimm deinen Hut ab!«
Francesca mußte kichern, als die alte Frau durch die Tür verschwand.
Dallie spuckte sein Kaugummi in die Hortensien. »Na, warte nur«, drohte er in Richtung Francesca.
Skeet gluckste. »Sieht so aus, als ob die gute alte Francie uns diesmal ein bißchen aus der Schußlinie hält.«
Dallie lächelte. »Ja, ich kann mir richtig vorstellen, wie sich Miß Sybil die Hände reibt und darauf wartet, sich Francesca zur Brust zu nehmen.« Er sah Francesca fragend an. »War das dein Ernst, daß du Fitzgerald nicht gelesen hast?«
Francesca hatte das Gefühl, eine Serie von Massenmorden gestanden zu haben. »Das ist kein Verbrechen, Dallie.«
»Hier schon.« Er unterdrückte ein Lachen. »Na, du kannst was erleben!«
Das Haus in der Cherrystreet hatte hohe Wände, die Decken waren mit schwerem Walnußbaumholz getäfelt, und die Zimmer waren lichtdurchflutet. Der alte Holzfußboden war stellenweise ramponiert, die Wände hatten Risse, und die Inneneinrichtung wirkte recht zusammengewürfelt, trotzdem strahlte das Haus einen besonderen Charme aus. Streifentapete wechselte mit Blümchendekor, und die merkwürdige Ansammlung von Möbeln aller Stilrichtungen wurde aufgelockert durch handbestickte Kissen und kunterbunte Häkeldeckchen.
In den dunklen Nischen standen selbstgetöpferte Keramikgefäße, die Wände schmückten Mustertücher im Kreuzstich, und überall wimmelte es von Golftrophäen in Form von Türstoppern, Buchstützen, Briefbeschwerern oder ganz einfach nur so, ohne besondere Funktion.
Drei Tage nach ihrer Ankunft in Wynette schlüpfte Francesca aus dem Zimmer, das Miß Sybil ihr zugewiesen hatte, und schlich sich über den Flur. Unter Dallies T-Shirt trug sie das Höschen aus schwarzer Seide, das erstaunlicherweise in dem Kleiderpacken aufgetaucht war, den ihr Miß Sybil leihweise zur Verfügung gestellt hatte. Vor einer halben Stunde hatte sie Dallie in sein Zimmer gehen hören.
Seit sie hier waren, hatte sie ihn kaum
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