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Komme, was Wolle

Komme, was Wolle

Titel: Komme, was Wolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gil McNeil
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was Mum, glaube ich, bemerkt.
    »Gehen wir nach unten. Ich möchte euch die Räume zeigen: Sie sind wirklich wunderschön, und es gibt eine wundervolle Quadratura im Esszimmer.«
    Was ich wirklich sehen möchte im Esszimmer, ist etwas Warmes zu essen, aber egal; ich sollte mich besser nicht nach einem nur zehnminütigen Aufenthalt hier direkt zurück ins Teenagerschmollalter katapultieren lassen.
    »Deine Mum hat dir extra deinen Lieblingstee gekauft. Earl Grey, ist das richtig?«
    Ich hasse Earl Grey aus tiefstem Herzen. Meiner Meinung nach kann man gleich abgestandenes Parfüm trinken, und wir hatten unzählige Auseinandersetzungen darüber. Aber egal, der Wille zählt.
    »Wunderbar.«

     
    Am ersten Weihnachtstag sitze ich in dem prunkvollen Esszimmer mit der quadradingsbums Decke und versuche, mich zu beruhigen, während die Jungs sich gegenseitig mit Lego-Kanonenkugeln beschießen. Mum hat mir ihren speziellen dreifachen Espresso zum Frühstück gemacht, und meine Hände zittern immer noch, aber es war entweder das oder dieser verfluchte Earl Grey, zumindest bin ich jetzt wach. Wir haben unsere Geschenke ausgepackt, und Vin und Lulu sind sehr zu Mums Verärgerung wieder ins Bett gegangen. Dad macht sich emsig in der Halle mit Schraubenzieher und Hobel an einer der Türen zu schaffen, während Mum unten in der Küche lautstark mit Töpfen hantiert, weil sie kochen hasst. Wir alle haben Hilfe angeboten, aber sie wollte es allein machen; womit sie, glaube ich, meinte, dass wir das bewundernde Publikum spielen sollen, statt sie tatsächlich allein zu lassen.
    Es ist erst halb elf, und ich fühle mich jetzt schon, als wäre ich seit Stunden wach. Aber das Essen gestern Abend war wirklich fantastisch, auch wenn es bedeutet hat, dass wir spät nach Hause kamen. Wir sind in ein ganz kleines Restaurant in der Nachbarschaft gegangen, das Giannis Sohn Luca mit seiner Frau Gabriella betreibt, und es war gerammelt voll mit ihren vielen Freunden und der Familie. Wir waren so hungrig, dass wir unsere Pasta praktisch inhaliert haben, bevor der traditionelle Weihnachtshauptgang kam. Gebratener Aal war nicht unbedingt das, was ich erwartet hatte, und nach Jacks Miene zu urteilen, er auch nicht, aber Gabriella war fantastisch mit ihm. Sie gab ihm eine klitzekleine Gabel voll zum Probieren, und als er es riskierte und erklärte, dass es lecker sei, applaudierten alle rundum, so bravissimo zu sein, so dass Archie seine Portion auch vertilgte, was ein weiteres kleines Wunder war. Vielleicht könnte ich bei den wechselnden Mittagsgerichten auch mal ein bisschen gebratenen Aal auf die Speisekarte setzen, wenn wir wieder zu Hause sind; das wäre eine echte Abwechslung zu Fischstäbchen.
    Auf dem Weg nach Haus kamen wir an drei als Weihnachtsmänner verkleideten Männern vorbei, die in einer Gondel standen, sangen und aller Welt zuwinkten, was die Jungs spitze fanden, so dass sie ihre Strümpfe noch aufgeregter aufhängten als gewöhnlich. Tatsächlich wurde alles so aufregend, dass Archies Campingliege unter ihm zusammenbrach, was ihn endgültig abdrehen ließ, aber gegen eins schliefen dann beide vor Erschöpfung endlich ein, und dann waren sie scheinbar Minuten später schon wieder wach, hüpften auf meinem Bett herum und schrien »Er war hier! Er war hier!« und schwenkten ihre Strümpfe vor mir hin und her. Das kleine Kaleidoskop aus Pappe kam gut an, ebenso die Aufziehaffen, die Saltos machen, aber ich werde Gran nie wieder erlauben, ihnen kleine Trompeten und Rasseln zu kaufen. Niemals. Obwohl das zumindest bedeutete, dass, als wir hinuntergingen zum Frühstücken, alle anderen ebenfalls wach waren.
    Archie hat seine Schokoladenorange schon verputzt. Ich fand immer, dass eine Satsuma ganz unten im Strumpf ein bisschen öde ist, so dass jetzt die Schokoladenorange eine Art Familientradition ist. Jack teilt sich seine Schokolade ein und isst sie nur scheibchenweise, wie er es immer tut, zum Teil, weil er gern lang etwas davon hat, aber hauptsächlich, weil er weiß, dass es Archie ärgert. Ich hätte sie letztes Jahr beinahe vergessen, und Nick musste sie Heiligabend schnell noch besorgen, was ihm gar nicht passte. Mir erscheint es schon viel länger her zu sein als nur ein Jahr, und in Venedig zu sein rückt es noch in weitere Ferne, aber ich wappne mich innerlich immer noch gegen einen Daddy-hätte-das-gefallen-Moment.
    Ich müsste eigentlich mit den Jungs zum Anziehen nach oben, aber ich mag einfach nicht ins Badezimmer gehen.

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